Die Hongkong-Papiere
High Street aus dem Taxi. Sie bezahlte den Fahrer und ging davon, eine zierliche, hüftschwingende, dunkelhaari ge junge Frau in Lederjacke, engem schwarzen Minirock und hochhackigen Stiefeletten. Beim Gehen schien ihr ganzer Körper in Bewegung zu sein. Der Taxifahrer beobachtete, wie sie ihren Schirm gegen den strömenden Regen aufspannte, stieß einen tiefen Seufzer aus und fuhr weiter.
An der ersten Straßenecke blieb Norah Bell stehen und kaufte einen Evening Standard. Die Titelseite beschäftigte sich mit einem einzigen Thema, der Ankunft des amerikanischen Präsidenten anläßlich eines Treffens mit dem israelischen und dem englischen Premierminister, um mit ihnen über die Palästina-Frage zu diskutieren. Sie faltete die Zeitung zusam men, klemmte sie sich unter den linken Arm, bog um die nächste Straßenecke und ging weiter in Richtung Themse.
Der Junge, der gegenüber in einem Hauseingang stand, war etwa achtzehn Jahre alt und trug Schnürstiefel, Jeans und eine schäbige Bomberjacke. Mit dem Ring im linken Nasenloch und der Hakenkreuztätowierung auf der Stirn war er der typische Vertreter einer gewissen Gattung von Herdentier, die auf der Suche nach Beute durch die Straßen der Stadt streifte. Er vermutete in der Frau ein leichtes Opfer und folgte ihr schnell. Erst im letzten Moment begann er zu rennen, um sie von hinten zu umschlingen und ihr eine Hand auf den Mund zu pressen. Sie wehrte sich nicht, wurde augenblicklich schlaff, was ihm eigentlich eine Warnung hätte sein sollen. Aber er war mittler weile jenseits jeder Vernunft, aufgeladen mit der falschen Art sexueller Erregung. »Tu, was ich dir sage«, zischte er, »und dir passiert nichts.«
Er drängte sie gegen die Laderampe eines schon länger nicht mehr benutzten Lagerhauses und preßte sich an sie. Sie sagte: »Du brauchst nicht so brutal zu sein.«
Zu seiner Verblüffung küßte sie ihn, und ihre Zunge tanzte sogar durch seinen Mund. Er konnte sein Glück nicht fassen, als sie, immer noch ihren Regenschirm festhaltend, die andere Hand nach unten schob und über die Schwellung in seiner Hose strich.
»Jesus Christus«, stöhnte er und küßte sie wieder, wobei ihm bewußt war, daß ihre Hand den Rock hochzuraffen schien.
Sie fand, was sie suchte, das Springmesser, das in ihrem rechten Strumpf steckte. Es kam hoch, die Klinge schoß heraus, und sie schlitzte die linke Seite seines Gesichts vom Augenwinkel bis hinunter zum Kinn auf.
Er schrie auf, sackte von ihr weg. Sie war ganz ruhig, als sie die Messerspitze unter sein Kinn setzte. »Möchtest du noch mehr?«
»Nein, um Gottes willen, nein!« schrie er entsetzt.
Sie wischte die Messerklinge an seiner Bomberjacke ab. »Dann verschwinde.«
Er stolperte hinaus in den Regen, wandte sich um, drückte ein Taschentuch gegen sein Gesicht. »Verdammtes Biest! Das zahle ich dir heim!«
»Nein, das wirst du nicht.« Ihr Akzent war unverkennbar der der Iren in Ulster. »Du wirst so schnell wie möglich die nächste Unfallstation aufsuchen, dich zusammenflicken lassen und das Ganze als wichtige Erfahrung verbuchen.«
Sie sah ihm nach, klappte das Messer zu und verstaute es wieder in ihrem Strumpf. Dann drehte sie sich um, setzte ihren Weg zur Themse fort, ging ein Stück am Fluß entlang und blieb vor einem alten Lagerhaus stehen. In dem großen Eingangstor befand sich eine kleine Tür. Sie öffnete sie und ging hinein.
Die Halle war dunkel, aber am Ende befand sich ein rundum verglastes Büro, das beleuchtet war. Eine Holztreppe führte hinauf. Während sie darauf zuging, tauchte ein junger, dunkel häutiger Mann auf. Er hatte eine Browning Hit-Power in der Hand.
»Und wer sind Sie?« fragte die Frau.
Die Tür des Büros wurde geöffnet, und ein kleiner Mann in einer Matrosenjacke und mit dunklen, zerzausten Haaren erschien. »Bist du das, Norah?«
»Wer sonst?« erwiderte sie. »Wer ist dein Freund hier?«
»Ali Halabi, das ist Norah Bell. Kommt rauf.«
»Entschuldigen Sie«, sagte der Araber.
Sie beachtete ihn nicht und stieg die Treppe hinauf. Er folgte ihr, wobei er erfreut beobachtete, wie ihr Rock sich über ihrem Gesäß spannte.
Als sie das Büro betrat, drückte der Mann in der Matrosen jacke ihr die Hände sanft auf die Schultern. »Du siehst einfach zum Anbeißen aus.« Dabei küßte er sie sacht auf die Lippen.
»Spar dir das Süßholzraspeln.« Sie legte den Regenschirm auf den Schreibtisch, öffnete die Handtasche und
Weitere Kostenlose Bücher