Die Hudson Saga 01 - Haus der Schatten
Ecke bog und mich dem heruntergekommenen Gebäude näherte. Es wirkte mehr wie eine Fabrik als eine Schule, und alle Fenster waren vergittert. Das Grundstück war von einem Metallzaun mit großen Schildern umgeben, die vor dem Zutritt Unbefugter warnten.
Zwei uniformierte Wachen befanden sich am Vordereingang, wenn die Schüler eintrafen. Um in das Gebäude zu gelangen, mussten wir alle einen dieser Metalldetektoren passieren, wie sie sich auch an Flughäfen befinden. Bei zu vielen Gelegenheiten hatten Schüler, besonders Bandenmitglieder, andere Schüler mit Messern angegriffen, bei einem Schüler aus der zehnten Klasse fand man einen geladenen Revolver. Die Lehrer waren unerbittlich, was zusätzliche
Sicherheit anbelangte. Es kam fast zu einem Streik, damit die Metalldetektoren installiert wurden und uniformierte Wachen in den Fluren patrouillierten und die Lehrer unterstützten.
Mr McCalester, mein Geschichtslehrer, meinte, alle Lehrer müssten eine Gefahrenzulage zu ihrem Gehalt erhalten. Bei ihm klang es so, als sollten wir dankbar sein, wenn wir einen Schultag überstanden, ohne verletzt zu werden. Es fiel schwer, sich auf Lyrik und Dramen, Algebra und Geometrie, Chemie und Biologie zu konzentrieren, während außerhalb des eingezäunten Geländes wütende junge Männer darauf warteten, einander und jeden, der ihnen in den Weg kam, zu zerstören.
Die meisten von meinen und Benis Freunden waren kampferprobte Veteranen der Straße. Jeder wusste über Drogen Bescheid, und keinen überraschte es, wenn er feststellte, dass einer Crack, Hasch oder was sonst gerade angesagt war nahm.Weder Beni noch ich hatten je etwas davon genommen oder auch nur probiert. Roy ging es genauso. Manchmal hatte ich Angst, dass Beni nachgeben würde. Einige Freundinnen provozierten uns, sagten, wir seien keine richtigen »Sistas« und benähmen uns hochnäsig.
Manche Mädchen lehnten mich wegen meines Aussehens ab. Mama brachte mir immer bei, Eitelkeit sei eine Sünde, aber ich kam nicht umhin, mich zu fragen, ob ich nicht besondere Gaben mitbekommen hatte. Mein Haar war glatter und glänzender als üblich. Ich hatte eine karamelfarbene Haut, nie große Probleme mit Akne. Meine Augen waren hellbraun, mehr in Richtung mandelfarben, und hatten lange Wimpern. Roy meinte einmal, ich könnte doch Model werden, aber ich hatte Angst, mir so etwas
auch nur zu wünschen. Ich hatte Angst, mir irgendetwas Gutes zu wünschen. Schönes muss einem zufällig widerfahren, einen überraschen.Wenn man sich etwas zu verzweifelt wünscht, war das genauso, wie einen Ballon zu sehr festzuhalten. Er platzte, deine Träume lösten sich in nichts auf.
Als ich jünger war, bürstete Mama mir gerne die Haare und summte eine der sanften Melodien, die ihre Mama ihr vorgesungen hatte.
»Du wirst einmal eine wunderschöne junge Lady, Rain«, flüsterte sie mir dann leise ins Ohr, »aber du musst wissen, dass Schönheit auch eine Last sein kann. Du musst lernen, nein zu sagen, und stärker auf dich aufpassen, weil Männer mehr auf dich achten.«
Ihre Warnungen ängstigten mich. Ich ging durch die Schulflure, den Blick geradeaus gerichtet, erwiderte keinen Blick, freute mich über kein Lächeln. Ich wusste, dass die meisten Kids mich für einen Snob hielten, aber ich reagierte so wegen der winzigen Hummel in meinem Herzen, die jedes Mal aufflog, wenn ein Junge mich interessiert anschaute. Dieses Summen jagte mir einen kalten Schauer den Rücken hinunter bis in die Füße. Fast wäre ich lieber nicht attraktiv gewesen.
Ich weiß, dass Beni sich nicht für hübsch hielt, auch wenn ich fand, sie hatte hübsche Züge und schöne ebenholzschwarze Augen. Sie hatte einen stärkeren Busen als ich und ließ gerne ein oder zwei Knöpfe offen oder trug engere Kleidung, aber sie hatte breitere Hüften, und Roy meinte immer, sie sehe aus wie eine Schlampe! Meine Lippen waren schmaler, meine Nase gerader als Benis. Manchmal, wenn Beni nicht hinschaute, studierte ich ihr Gesicht eingehender und suchte nach Ähnlichkeiten zwischen uns. Sie
und Roy sahen sich ähnlicher, obwohl sein Haar eher wie meines war.
Einmal fragte ich Mama danach, und sie meinte, dass manchmal die Großeltern stärker zum Vorschein kommen als die Eltern. Ich dachte darüber nach und schaute mir die Bilder von Kens und Mamas Eltern an, aber bei keinem von ihnen konnte ich Ähnlichkeiten mit mir entdecken.
Weder Mamas noch Kens Eltern lebten noch. Kens Vater war bei einem Autounfall ums Leben gekommen,
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