Die Hueterin der Krone
ihr niedergekniet war. Damals war sie gerade am Hof eingetroffen, um Henry zu heiraten; ein schlankes, geschmeidiges Mädchen, in dessen Augen Furcht und eine anrührende Tapferkeit stand. Er war ein paar Jahre älter als sie gewesen, hatte aber immer noch zu den jüngsten Mitgliedern des Hofes gehört. Bei ihrem Anblick hatte ihm der Atem gestockt, weil sie perfekt erschien: sanft und bescheiden, aber von vollendeter Haltung, hinter der sich eine nicht zu unterschätzende Willenskraft verbarg. Dass sie seine Frau geworden war und ihm Kinder geboren hatte, war die Erfüllung seines Lebenstraums, und nun kam das bittere Erwachen; nun berührte er sie zum letzten Mal. Wenn er nach Arundel zurückkehrte und sich an sein Feuer setzte, war er allein. Er hatte zwar schon oft allein dort gesessen, aber diesmal würde es anders sein, und um seiner Zukunft und die der sechs prächtigen Kinder willen, die Adeliza ihm geschenkt hatte, musste er sein Schicksal klaglos ertragen.
Adeliza hielt bis zum letzten Moment seine Hand, obwohl sie wusste, dass sie ihn loslassen und sie beide freigeben musste. In mancher Hinsicht würde die Trennung für sie vieles leichter machen, denn seine verzweifelte Hoffnung, sie möge sich erholen, war schwer zu ertragen gewesen. In Afflighem fand sie Ruhe und Frieden. Aber sie würde ihn entsetzlich vermissen. Seine Bewunderung und das Gefühl, von ihm gebraucht zu werden, waren Balsam für ihre Seele gewesen.
Unter Aufbietung all ihrer Kraft löste sie sich von ihm und drehte sich zu den wartenden Kindern um. Sie hatten sich mit ihren Kinderfrauen in Reih und Glied aufgestellt. Wilkin, ein Ebenbild seines Vaters, hochgewachsen und kräftig für sein Alter, mit einem braunen Lockenschopf und goldbraunen Augen. Auch Adelis glich abgesehen von ihrem Haar Will sehr. Sie war robust und unverwüstlich, wofür Adeliza dankbar war, denn diese Eigenschaften würden ihrer ältesten Tochter im Leben gut zustatten kommen. Godfrey und Reiner, hellhaarig und schlank, schlugen ihrem eigenen Vater und ihrem Bruder nach, und die beiden jüngsten waren noch pummelige Kleinkinder. Sie würden sich nicht an sie erinnern und sie nur aus den Erzählungen anderer kennen lernen.
Sie sah alle lange an; sog ihren Anblick in sich auf, als könne sie das Bild in ihr Gedächtnis einbrennen und dort so unauslöschlich bewahren wie in ihrem Herzen. Sie hatte jedem Kind ein Andenken gegeben. Die Jungen hatten Bücher und Ringe bekommen, die für sie aufbewahrt wurden, bis sie Männer waren. Die Ringe schenkten sie eines Tages vielleicht ihren Frauen oder Töchtern, wenn Gott sich gnädig zeigte. Ihre juwelenbesetzten Gürtel waren an ihre Töchter gegangen, und sie hatte Adelis das Kleid geschenkt, in dem sie Will geheiratet hatte. Auf Agatha wartete ein prachtvolles, mit Perlen und Bergkristallen besticktes Staatsgewand.
»Seid brav und tut, was euer Vater euch sagt«, murmelte sie, als sie jedes Kind küsste. Die Kinderfrau hielt den kleinen Henry im Arm, da Adeliza nicht die Kraft aufbrachte, ihn selbst zu nehmen. Agatha griff nach Adelizas Hand. »Mama«, sagte sie. »Mama.«
Adeliza schloss die Augen. »Gott segne dich«, flüsterte sie, beugte sich zu Agatha hinunter, um ihre kleinen Finger zu küssen, und wandte sich dann ab.
Agatha begann zu weinen, als wüsste sie instinktiv, dass ihre Mutter nicht zurückkommen würde. Die Jammerlaute zerrissen Adeliza das Herz. Will trat zu der Kinderfrau und nahm Agatha selbst auf den Arm.
»Sch … sch«, tröstete er sie mit gebrochener Stimme. »Ich bin ja noch hier, Kleines, und ich werde immer für dich da sein.«
Adeliza wurde von ihrem Schmerz so niedergedrückt, dass sie kaum laufen konnte. Matilda hatte sich taktvoll ein Stück abseits gehalten und gewartet, aber jetzt kam sie zu ihr, nahm sie am Arm und führte sie über den breiten Landungssteg an Bord des Schiffes.
»Komm«, sagte sie, als Adelizas Knie unter ihr nachzugeben drohten. »Wir haben es fast geschafft. Halte durch!«
Adeliza holte tief Atem und sammelte ihre letzten Kräfte. Starke Hände streckten sich ihr entgegen, um ihr auf das Deck der Galeere zu helfen und sie zu einer Ruderbank zu geleiten, von der aus sie den Anlegesteg sehen konnte. Die letzten Diener und Zofen kamen an Bord, die Besatzung löste die Taue, und das Schiff legte ab.
Adeliza blickte zu Will hinüber, der noch immer Agatha auf dem Arm hielt. Die anderen Kinder drängten sich um ihn. Die Jungen winkten alle heftig und riefen
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