Die Hüterin der Quelle
dabei vor, damit er sah, wie ernst sie es meinte. »Mein Kopf war noch nie so klar. Wir sind auf der richtigen Fährte. Das sagt mir auch mein Bauch.«
»Und wenn er sich auf den Handel nicht einlässt? Wenn er die Büttel kommen und euch kurzerhand ins Loch werfen lässt?«
»Das wird er nicht. Dafür sind unsere Beweise zu gut.«
»Ein Stück Papier, das sich zerreißen lässt? Zwei Weiber, die auf der Streckbank um Hilfe schreien? Ein Kind, dem man im Handumdrehen an die Gurgel gehen kann? Ich glaube, du weißt noch immer nicht, mit wem du es hier zu tun hast!«
Wütend ging Adam in dem kleinen Raum auf und ab.
»Seit Monaten brüte ich über meinem Traktat«, sagte er. »Wie viele Nächte hab ich dafür schon durchwacht! Die Finger hab ich mir wund geschrieben. Aber was kann es schon bewirken? Vielleicht wird es nicht einmal gedruckt.«
»Es ist gut und wichtig, was du dir da vorgenommen hast, aber für Veit kommt es zu spät«, sagte Marie. »Deshalb müssen wir handeln – schnell. Der Fürstbischof wird ihn nicht begnadigen. Darauf läuft es doch hinaus, oder? Simon macht sich noch Hoffnungen. Ich nicht. Dafür dauert mir sein Schweigen schon zu lange.«
»Ich fürchte, du wirst Recht behalten, Marie. Fuchs von Dornheim gefällt Simons Krippe. Aber für seinen Vater hat er wenig übrig.«
»So bleibt uns keine andere Wahl. Was dann geschieht, liegt in Gottes Hand.«
Sie war schon am Gehen, als er seine Hand auf ihren Arm legte. Jetzt waren sie sich so nah, dass sie die goldenen Sprengsel in seinen Augen sehen konnte. Sie spürte seinen Atem auf ihrer Haut. Eine wilde Sehnsucht stieg in ihr empor, nach den alten Tagen, dem hellen Licht, den unbeschwerten Jugendträumen.
Er zog sie an sich, hielt sie fest in seinen Armen.
»Ich wünschte, ich hätte bei dir bleiben können«, sagte er an ihrem Ohr. »Du hättest es verdient, Marie.«
Dann ließ er sie wieder los.
»Ich möchte dir noch etwas mitgeben«, sagte er. »Ein Argument, das Eindruck bei Förner machen wird, darauf kannst du dich verlassen.«
Er fasste in seine Tasche und zog den Rosenkranz heraus.
»Es gibt nichts auf der Welt, was er mehr begehrt«, sagte er. »Sag ihm auch, dass Josef Grün über alles Bescheid weiß. Es sollte euer letztes und stärkstes Argument sein, falls alle anderen ihn nicht zum Nachgeben bringen.«
Sie nickte.
»Sie hat offene Augen gehabt, das kleine Lenchen«, sagte Adam mit belegter Stimme. »Das hat mich sehr gerührt. Mit offenen Augen haben wir sie begraben müssen. Sie wollte sehen. Wollte leben. Mit dem, was ihr vorhabt, rächt ihr auch sie.«
»Ich danke dir«, sagte Marie. »Ich bin froh, dass du mir vertraust. Ich hab niemals ganz aufhören können, dich zu lieben, Adam. Obwohl ich jetzt zu Veit gehöre. Aber das weißt du sicherlich. Darf ich dich noch etwas fragen?«
»Ja?« Er drehte sich halb zu ihr um.
»Du triffst dich doch nicht mehr mit Simon, oder?«
Er hatte den gleichen Gesichtsausdruck wie damals, als ihn der Nachbar auf frischer Tat im Kirschenbaum erwischt hatte.
»Nein«, sagte er. »Unser Abschied ist beschlossene Sache.«
Pankraz Haller war nicht ganz zufrieden mit dem, was er von Selina erfahren hatte, aber immerhin hatte er sie zum Reden gebracht beziehungsweise zum Schreiben. Geduldig hatte er zugesehen, wie sie Satz für Satz geschrieben hatte, und sich gefreut, wenn sie ihm dann vertrauensvoll ihre Tafel entgegenstreckte. Er mochte das taube Mädchen von Tag zu Tag lieber, und wenn er sich nicht täuschte, dann schmiedete die traurige Situation auch Marie und sie enger zusammen.
Auf dem Heimweg zum Gasthaus Unter den Störchen rekapitulierte er die Ergebnisse. Marie rechnete nicht mehr mit einem Gnadenerlass des Fürstbischofs, das schien ihm eindeutig. Offenbar hatte sie inzwischen einen anderen Plan gefasst, einen Plan, bei dem sie auf die Hilfe der Otterfrau vertraute. Zwar wunderte sich der Braumeister über die seltsame Allianz, aber seine Tochter handelte nie unüberlegt, darauf konnte er sich verlassen.
Allerdings musste es ein gefährlicher Plan sein, denn sonst hätte sie ihn nicht vor Selina verheimlicht, und das wiederum beunruhigte ihn. Marie hing an diesem Sternen, auch wenn ihre frühere Blindheit ihm gegenüber inzwischen gewichen war und sie ihn endlich mit sehenden Augen betrachtete. Dennoch würde sie alles tun, um ihn zu retten, sonst wäre sie nicht Marie.
Was, wenn sie ihr eigenes Leben dabei gefährdete? Und das von Simon, Selina, vielleicht
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