Die Hüterin der Quelle
Kopf. »Das hat er mir fest versprochen!«
»Offenbar hat er es trotzdem getan. Lenz hat Selina gesagt, dass Förner Lenchens Vater ist.« Avas Stimme klang eindringlich. »Ist das wahr? Und falls ja, woher weiß er das?«
»Das weiß ich nicht«, sagte Toni trotzig.
»Dann stimmt es vielleicht gar nicht?«, sagte Marie enttäuscht.
Selinas Mund öffnete sich im stummen Protest. Es war ihr anzusehen, wie sehr sie mit den Lauten kämpfen musste.
»Es muss stimmen. Lenz lügt nicht«, brachte sie hervor. »Niemals!«
Marie packte Tonis Hand, zwang ihn, sie anzusehen.
« Mein Mann ist in großer Gefahr. Sie haben ihn gefoltert, bis er schließlich gestanden hat, ein Drute zu sein. Aber er hat gelogen. Er hat niemanden verhext, er konnte nur die Folter nicht mehr ertragen. Sie haben ihm die Hände zerschmettert, ihm, einem Krippenschnitzer!« Flehentlich sah sie ihn an. »Toni, sag uns die Wahrheit, wenn du sie kennst: Ist Förner Lenchens Vater?«
Er machte sich los.
»Ich weiß es nicht.« Sein Kopf ging zur Seite.
»Toni!«, sagte Ava eindringlich. »Denk einmal ganz genau nach. Es geht um ein Menschenleben!«
»Aber ich weiß es wirklich nicht!« Jetzt schrie er. »Und wenn ihr mich noch hundertmal fragt. Das mit dem Vater hat Lenz gesagt. Ich weiß bloß das von dem Mal.«
»Welches Mal?«, sagte Marie.
»Lenchens Mal?« Ava bedeutete Marie mit einer Geste, sich zurückzuhalten. »Der braune Sichelmond an ihrem Hals?«
Toni nickte.
»Ja«, sagte er. »Der schwarze Prediger hat das gleiche. Ich hab es gesehen, als er einmal sein Gewand nach der Messe abgestreift hat. An seinem Hals. Genau wie bei Lenchen. Und ich soll niemals mit ihm in den Keller gehen oder hinauf auf einen Turm. Denn er kennt sich mit dem Teufel viel zu gut aus. Das hat Hofmeister gesagt. Das ist der, der für ihn schreibt.«
Die beiden Frauen sahen sich an.
»Lenchen trug immer einen Rosenkranz«, sagte Ava. »Aus roten Korallen. Sehr wertvoll, zu wertvoll für ein kleines Bettlermädchen. Sie hat sich geweigert, ihn abzunehmen. Sogar beim Baden wollte sie ihn unbedingt anbehalten. Die Mutter hätte ihr es verboten. Strengstens! Ihre Mutter Gundel, die einmal bei einem reichen Mann in Diensten war, bevor er sie schwängerte und auf die Straße setzte …«
»Denkst du auch, was ich denke?«, sagte Marie.
Ava nickte.
»Auch wenn ich das mit dem Mal noch nicht ganz verstehe?«
»Das werd ich dir gleich erklären. Und ihr beide, Toni und Selina, geht jetzt am besten nach nebenan zu Mathis«, befahl Ava. »Marie und ich haben zu reden.«
« Was werdet ihr jetzt tun?«, sagte Selina, als sie nach Hause gingen. Das Gurgeln des Flusses zwang sie zu respektvollem Abstand vom Ufer.
»Alles auf eine Karte setzen«, sagte Marie.
»Hast du keine Angst?«
»Große Angst. Aber ich werde nicht allein sein.«
»Sie wird dir helfen?«
»Es ist besser, Selina, wenn du so wenig wie möglich weißt. Nur für den Fall der Fälle.«
Das Mädchen blieb stehen. Sie hielt den Kienspan etwas höher und kam Marie ganz nah, damit ihr kein Wort entging.
»Du willst mir nicht mehr verraten?«, sagte sie, den Blick unverwandt auf Maries Lippen gerichtet.
»Du darfst nicht noch einmal in Gefahr geraten. Das wäre mehr, als ich jetzt ertragen könnte.«
Selina nickte langsam. Sie gingen weiter.
Nach einer Weile spürte Marie, wie Selinas kalte Hand sich in ihre schob. Schutz suchend. Vertrauensvoll.
Als wolle sie sie nie wieder loslassen.
« Ist das dein Werk, Thies?« Förner stellte ihn in der Eingangshalle, als Adam die Alte Hofstatt gerade verlassen wollte. »Ich bin sicher, es ist dein Werk!«
»Was meint Ihr, Monsignore?« Nicht einmal, wenn sie allein waren wie jetzt, griff er auf die vertraute Anrede unter Ordensbrüdern zurück.
»Die Aussetzung der Hinrichtung Sternens. Da steckst doch du dahinter.«
»Seine Exzellenz, der Fürstbischof, hat diese Anweisung gegeben. Weihnachtsfrieden. Keine Hinrichtungen in der Zeit zwischen der Thomasnacht und dem Heiligdreikönigstag. Gemäß den Anordnungen von Kurfürst Maximilian.«
»Auch diese Verzögerung wird euch nichts nützen«, zischte Förner. »Er hat gestanden. Er brennt. Auch die Krippe des jungen Sternen wird ihn nicht retten.«
Adams Miene blieb unbewegt. »Dem Fürstbischof gefällt sie«, sagte er. »Während wir hier miteinander sprechen, wird sie drüben im Dom aufgebaut. Ein Meisterwerk, wie man hört. Das die Herzen der Menschen berühren wird.«
Förner kam ihm so nah,
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