Die Hüterin der Quelle
Waschstube brachte. Sie trug sogar das rote Kleid mit dem bestickten Mieder, das sich dank eines eingearbeiteten Polsters um ihre Hüften bauschte, und hatte in einem Anflug von Trotz die Silberkette mit dem großen Bergkristall umgelegt, die Veit ihr im vergangenen Sommer geschenkt hatte. Das Haar war gebürstet und mit einem Reif aus der Stirn genommen. Ihm gefiel es, wenn es lang und glänzend über ihren Rücken fiel, wie bei einer Braut, und sie es nicht wie die anderen verheirateten Frauen unter einer Haube versteckte.
Die Göhlerin, die ihr bei der Hausarbeit zur Hand ging, weil sie jeden Kreuzer dringend brauchen konnte, würde tun, was zu tun war. Es kam Marie entgegen, dass sie nicht bei ihnen wohnte, sondern abends zum Schlafen heimging. An ihren Blicken erkannte sie, dass die ältere Frau sehr wohl ahnte, wie es um sie stand. Aber Theres Göhler tratschte nicht. Was im Haus geschah, behielt sie für sich. Marie schätzte ihre Verschwiegenheit wie ihren Fleiß, den die Witwe immer wieder bewies.
Auch an diesem Morgen war sie nicht untätig gewesen, hatte den Ofen angeheizt, Wasser vom Brunnen hergeschleppt und zwei der hölzernen Bottiche gefüllt. Wieso noch länger warten? Es konnte ihr nicht schnell genug gehen, die persönliche Schmach loszuwerden.
Marie ließ das besudelte Laken hineingleiten und tauchte es unter. Die bauschigen, geschlitzten Ärmel störten sie dabei; mit ihnen zu arbeiten hieß, sie nass zu machen oder sogar ganz zu verderben. Manchmal wünschte sie sich, es gäbe Frauenkleidung, die einfacher und bequemer wäre. Als das Wasser sich rötlich färbte, verstärkte sich das Ziehen in ihrem Unterleib. Sie fröstelte. Eigentlich hatte sie schon den ganzen Morgen gefroren.
Etwas ließ sie zusammenfahren. Selina stand neben ihr und starrte mit unverhohlenem Interesse in den Trog.
»Dass du dich immer wie eine Katze anschleichen musst!« Sie fühlte sich ertappt, bloßgestellt wie ein Kind, das bei etwas Verbotenem erwischt wird. »Du wirst erst zufrieden sein, wenn ich eines Tages vor Schreck tot umfalle.«
Das Mädchen zuckte die Achseln und lächelte.
Marie hasste dieses Lächeln, das so wissend war, so hintergründig. Ein Lächeln, das sie ausschloss. Es würde kein neues Kind geben. Davon hatte Selina sich eben vergewissert. Auch künftig würde ihr niemand die Vorrangstellung beim Vater streitig machen.
Veits Tochter beherrschte die Kunst des Lippenablesens, aber wenn es darauf ankam, verstand sie nur, was sie verstehen wollte. Scharlach hatte sie taub gemacht, bald nach ihrer Ankunft in Bamberg. Seitdem konnte sie auf einem Ohr gar nichts mehr hören, auf dem anderen kaum noch, aber sprechen konnte sie, wenngleich es immer häufiger geschah, dass die Wörter in ihrem Hals stecken blieben oder seltsam verdreht herauskamen.
Marie wusste, dass Selina sich dafür schämte. Manchmal verstummte sie, tagelang. Aus Angst, sich zu blamieren, hatte sie immer ein Schiefertäfelchen bei sich, auf dem sie alles aufschrieb, was sie sagen wollte, wenn Simon nicht in der Nähe war.
Simon, ihr Dolmetscher. Der, der ihr immer geholfen hatte, die Welt zu verstehen.
»Geht es dir gut?« Selina betrachtete sie neugierig.
Hochgeschossen war sie über die langen Wintermonate. Unübersehbar an der Schwelle zur Frau. Davon zeugten die zarten Erhebungen unter dem Stoff, wenn auch die Nägel stets schmutzig waren. Nichts schien mehr zusammenzupassen, die Beine waren zu staksig, der Hals zu lang, die Lippen zu voll. Aber Selina würde schön werden, mit ihren dunklen Locken und den klaren blaugrauen Augen, auch wenn sie selber es noch nicht wusste. Oder ahnte sie es bereits? Marie hatte sie regungslos vor dem Spiegel kauern sehen, der früher ihrer Mutter gehört hatte.
»Nein«, sagte Marie. Veit hatte Recht. Sie sprach schlechter als noch vor einiger Zeit. Deutlich schlechter sogar. Er hatte jeden in der Familie beschworen, sie zu behandeln, als sei nichts geschehen, aber es war nicht einfach, wenn das Mädchen sich so verschloss. »Ich friere jämmerlich. Lass uns nach oben gehen und zusammen frühstücken. Vielleicht kann uns eine heiße Milchsuppe aufwärmen.«
»Draußen ist es wieder Winter.« Die Laute brachen aus Selinas Mund. »Nackte Bäume. Alle Blumen sind tot. Und die Vögel.«
»Du warst schon wieder unterwegs? So früh am Morgen – bei dieser Kälte? Ich möchte wirklich zu gerne wissen, wohin es dich immer zieht!«
Erneutes Achselzucken. Wieder jenes spezielle Lächeln. Und
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