Die Hure Babylon
anfangen wollen«, meldete sich der Franke, der zweite seiner neuen Gefährten, zu Wort. Er sprach nur mühsam und sah erschreckend bleich aus, mit tiefen Ringen unter den Augen.
Der Normanne zuckte mit den Schultern. Irgendwas Nützliches würde man schon für sie finden. Vielleicht als Haussklave den Herrschaften beim Essen frische Luft zufächeln, sie am Arsch kratzen oder ihre Pisspötte leeren. Er lachte spöttisch, verzog aber gleich das Gesicht, als der Wundschmerz ihn erneut überfiel.
Arnaut ließ sich vorsichtig auf seine Strohschütte sinken und schloss die Augen. Haussklave, wenn er Glück hatte und nicht vorher starb. Belustigung fürs Volk. Seht her, diesen Christen haben wir zurechtgestutzt. Verflucht noch mal. Ein schneller Tod wäre ihm lieber gewesen.
Die nächsten Tage versorgte man sie mit Wasser und schimmeligem Brot. Mit Hilfe des Normannen, der für ihn übersetzte, bat er die Wachen, Ayla, die Base des Emirs, zu benachrichtigen, und nannte seinen Namen. Aber sie lachten nur geringschätzig, taten, als verstünden sie nicht und traten mit Füßen nach ihm, als er nicht gleich Ruhe geben wollte.
»Entweder gibt es deine Ayla nicht, oder es ist ihnen scheißegal, wer sie ist«, sagte der Normanne. »Wahrscheinlich das Letztere.«
Niemand kam, um die Verbände zu erneuern, die inzwischen ganz von Blut und Wundwasser durchtränkt waren. Der an Arnauts Stumpf war so fest, dass er ins Fleisch schnitt. Er versuchte, ihn zu lockern. Es gelang ihm aber nicht, mit einer Hand den Knoten zu lösen. Das Auge störte ihn inzwischen zwar weniger, doch der Armstumpf fühlte sich heiß und geschwollen an. Kein gutes Zeichen. Zum Glück roch es noch nicht nach faulem Fleisch.
Dem Franken jedoch ging es von Tag zu Tag schlechter. Bald war sein Arm so dick angeschwollen, als wär’s sein Oberschenkel, und dies bis weit über den Ellbogen. Die kleinste Bewegung schien ihm höllische Schmerzen zu bereiten. Bis zum Kübel, um seine Notdurft zu verrichten, schaffte er es nicht mehr. Der üble Geruch des Eiters, der aus dem Verband tropfte, mischte sich mit dem Gestank der eigenen Exkremente, in denen er lag. Berührte etwas seinen Arm, dann schrie er wie ein Gepfählter, ansonsten wimmerte er endlos vor sich hin. Er schien kaum noch bei Verstand zu sein.
»Wir sollten ihn nicht länger leiden lassen«, sagte der Normanne und bekreuzigte sich.
Arnaut nickte. Das Stöhnen und Wimmern war unerträglich geworden. Aber wer sollte es tun? Mit einer Hand? Höchstens gemeinsam. Sie sahen sich lange an. Doch keiner von beiden fand den Mut. Also ertrugen sie seine Schreie, bis er endlich starb.
Dass sie den Leichnam wegtragen mussten, erzürnte die türkischen Wachen, und einen Tag lang entzogen sie den beiden Gefangenen Brot und Wasser. Der Tod des Franken hatte etwas Endgültiges, Hoffnungsloses. Er war wie der Vorbote ihres eigenen Schicksals, das sie früher oder später ereilen würde.
Arnaut hätte Gott angefleht, ihm das grässliche Wundfieber zu ersparen, doch an Gebete glaubte er nicht mehr. Stattdessen überließ er sich mehr und mehr der Trostlosigkeit seiner Lage. Bespuckt und entehrt, geblendet und zum Krüppel gemacht, gefangen in einem modrigen Verlies, ohne irgendeine Zukunft. Er wurde teilnahmslos, redete nicht mehr, vergaß das Essen. Stundenlang lag er auf der Strohschütte und starrte an das Deckengewölbe. Der Tod wäre eine Erlösung. Würde er Engel zu sehen bekommen? Hatte der Papst nicht das Paradies versprochen? Ein grausamer Scherz, über den er nicht einmal mehr lachen konnte.
Sein Leben würde er also in diesem elenden Loch beschließen, wo die Ratten schon darauf warteten, ihn anzunagen. Er müsste nur noch Frieden mit sich selbst finden. Aber auch das war ihm inzwischen gleichgültig geworden, schien nicht mehr der Mühe wert zu sein.
Doch irgendwann in der Dunkelheit der Nacht tastete er nach Ermengardas Brief in seiner Gürteltasche. Er fing an, sich langsam ihre Worte vorzusagen, die er auswendig wusste. Dass der Brief ihn erreicht hatte, war purer Zufall gewesen. Oder etwa nicht? Hatte es etwas zu bedeuten?
Während er sich ihr Gesicht vorstellte, begann ein winziger Funke in seinem Herzen zu glimmen. Sie rief ihn zu sich. Sie wartete auf ihn. Gott zum Trotz war ihre Liebe das Beste in seinem Leben gewesen, und nichts würde ihm dies nehmen können. Sollte dies hier sein Ende sein, dann war es eben so und nicht zu ändern. Dass Gott ihn habe strafen wollen, daran glaubte er nicht
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