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Die Hure Babylon

Die Hure Babylon

Titel: Die Hure Babylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Schiewe
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zurückzucken ließ. Da war mit einem Schlag die Erinnerung wieder da. Die blutige Hand auf dem Block. Er fingerte mit der Linken, fand nur Verband und Leere, wo eine Hand gewesen war. Und doch hätte er geschworen, sie war noch da, so wie sie ihn unaufhörlich quälte.
    Er versuchte, sich auf der Strohschütte, auf der er lag, bequemer hinzulegen. War er jetzt blind? Hatten sie ihm alles Augenlicht genommen? Er tastete mit der Linken ganz behutsam über das Gesicht. Auch hier ein mit Blut durchtränkter Verband. Aber nur über dem linken Auge. Eines hatten sie ihm also gelassen. Langsam atmete er aus. Sollte er dafür dankbar sein?
    Ein wenig fahles Licht, das durch ein Loch hoch oben fiel, ließ schemenhaft erkennen, dass er sich in einer Art Gewölbe befand. Es war kalt wie in einem tiefen Keller. Die Luft war feucht und stank nach Exkrementen. Da regte sich einer neben ihm, ein anderer wimmerte leise. Er war also nicht allein. Es mussten die beiden sein, die man zusammen mit ihm zum Richtblock geschleppt hatte. Was war mit dem Rest der Gefangenen geschehen? Mit Jori?
    Stunden vergingen. Kein Geräusch von außen drang in ihr Loch. Nur das Stöhnen der Männer unterbrach die Stille, ein Husten oder das gelegentliche Rascheln von Stroh, wenn sich einer auf die Seite drehte. Wie er seinen Arm auch legte, es tat weh, und für jede Kopfbewegung wurde er bestraft. Am besten war es, ganz still zu liegen und den Schmerz über sich ergehen zu lassen. Man musste sich klein machen, sich ihm hingeben, nicht bewegen, ganz ruhig und flach atmen.
    Mit der Zeit wurde es erträglicher. Dafür begann ihn der Durst zu quälen. Er versuchte, etwas Speichel im Mund zu sammeln, um seine Kehle anzufeuchten, auch wenn es wenig half. Seine Gürteltasche hatte man ihm gelassen und auch die kleine Madonna, die er immer bei sich gehabt hatte. Er glaubte nicht wirklich mehr an ihren Schutz, aber sie in der gesunden Hand zu halten war beruhigend. Sie erinnerte ihn an seine Mutter, wie sie ihn als Kind in den Armen gehalten hatte.
    An Schlaf war nicht zu denken. Und so dämmerte er, von Bildern und wirren Gedanken gequält, in einer Art Halbbewusstsein dahin. Da war Ermengarda, so unerreichbar, Hamid, der über seine Dummheit den Kopf schüttelte. Und Großvaters Lächeln, wenn er als Junge auf seinem Schoß gesessen hatte. Du hast mich nicht gewarnt, Großvater, nicht vor so etwas.
    Manchmal konnte er ein Schluchzen nicht unterdrücken. Und wurde gleich mit neuen Schmerzen dafür bestraft. Warum hatten sie ihm nicht einfach den Kopf abgeschlagen? Früher oder später würde ihn ja doch der Wundbrand erledigen. Er hatte genug Kameraden bei lebendigem Leibe daran verfaulen sehen. Ein elender Tod.
    Am Morgen drang mehr Licht in ihr Verlies. Der Boden war uneben, an den rauhen Quadern der Wände wucherte schwarzer Schimmel, in den Ecken lag halb verrottetes Stroh, in dem es verdächtig raschelte. Waren das Ratten? Arnaut erhob sich mühsam und in Schmerzen, aber die Blase drückte ihn. Es fanden sich ein stinkender Bottich in einer Ecke für ihre Notdurft und ein Krug mit Wasser. Sonst nichts.
    Die drei Gefangenen sahen sich im dämmrigen Licht zum ersten Mal an. Sie alle trugen die gleichen, blutdurchtränkten Verbände. Der Normanne meinte, sie hätten das Pech gehabt, als abschreckendes Beispiel und zur Volksbelustigung ausgesucht zu werden.
    »Woher weißt du das?«, fragte Arnaut.
    »Ich spreche ein wenig Türkisch. Der Imam sagte, wir müssten für ihre toten Moslembrüder bezahlen. Ein Auge für Allah. Und die Schwerthand, damit wir es nie wieder tun könnten.«
    »Wäre einfacher gewesen, uns hinzurichten.«
    Der Mann grinste verächtlich. »Alle Welt soll sehen, dass Allah gerecht, gütig und barmherzig ist. Deshalb lassen sie uns als Krüppel weiterleben.«
    »Gütig und barmherzig.« Arnaut schüttelte den Kopf. »Die sind genauso verrückt wie wir.«
    »Religion ist Macht, mein Freund. Niemand weiß das besser als der große Emir. Damit hält er die Massen in der Hand.«
    So ist es, dachte Arnaut. Religion ist Macht. Auf beiden Seiten. Er fragte sich, was mit Jori geschehen würde. Auf seine Frage meinte der Normanne, gefangene Christen, für die niemand Lösegeld aufbringen würde, kämen den Moslems als Arbeitskräfte nur gelegen. Sie würden für den Rest ihres Lebens auf einem der Baugerüste oder auf den glühenden Feldern schuften müssen.
    »Wenn du so schlau bist, dann sag uns, was sie mit ein paar halbblinden Krüppeln

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