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Die Hure Babylon

Die Hure Babylon

Titel: Die Hure Babylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Schiewe
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endlich die Stadt selbst durch das westliche Bab Antakiya, das Tor von Antiochia, zu betreten. Die Verhöhnung, sie gerade durch dieses Tor zu führen, entging den Gefangenen nicht.
    Arnaut fiel sofort auf, dass Teile der Stadtmauer stark beschädigt waren und sich allerorten Arbeiter auf Gerüsten tummelten, Kräne behauene Steine in die Höhe wuchteten und an ihrem Fuße ganze Heerscharen von Steinmetzen für Nachschub sorgten.
    Ein in Antiochia geborener Normanne, mit dem er sich unterwegs angefreundet hatte, erklärte, dass ein Erdbeben nie gekannten Ausmaßes die Region vor elf Jahren erschüttert und eine ungeheure Menge an Todesopfern und Schäden hinterlassen hatte. Davon hatte sich Aleppo noch nicht erholt. Doch überall wurde gebaut. Nur ad-Din schien entschlossen, nicht nur die Befestigungen instand zu setzen, sondern auch Paläste zu errichten und die Stadt in neuem Glanz erstrahlen zu lassen. Hier also wohnte Ayla, dachte Arnaut. Er hätte sie gern unter anderen Umständen besucht. Ob es wohl eine Möglichkeit gab, ihr eine Botschaft zukommen zu lassen?
    Der Einzug des siegreichen Heeres glich einem Triumphzug. Der Seldschukenfürst folgte auf seinem edlen Ross einer Staffel schwerbewaffneter Leibwachen, die den Weg freimachten. Um ihn vor der sengenden Nachmittagssonne zu schützen, ritten in Seide gekleidete Pagen an seiner Seite und hielten einen mit Koranversen bestickten Baldachin über sein Haupt. Dann folgte eine Eliteeinheit von gepanzerten
ghulam,
besonders ausgebildete und fanatisierte Sklavenkrieger, die ebenfalls über das Leben des Herrschers zu wachen hatten. Ihm huldigte die Menge mit Jubel und Begeisterung. Immer wieder brachen sie in Rufe aus,
allāhu akbar!,
Gott ist groß, Gott ist allmächtig, Gott ist barmherzig!
    Der Aufruhr fand seinen Höhepunkt, als die gefangenen Christen folgten. Die Meute begann, sie zu beschimpfen, mit erhobenen Fäusten zu bedrohen und mit Unrat zu bewerfen. Berittene Krieger drängten die Massen mit den Leibern ihrer Pferde zurück, bevor sie völlig außer Kontrolle gerieten. Noch schlimmer wurde es, als der Weg durch die engen Gassen der Souks führte, wo sich aufgeregte Männer und sogar Frauen erlaubten, sie zu bespucken oder ihnen ins Gesicht zu schlagen.
    Dann ging die Gasse in eine freie Fläche vor der riesigen Zitadelle über, die mitten in der Stadt auf einem hohen, fast kreisrunden Felshügel saß, der ganz von einem tiefen Festungsgraben umschlossen war. Die Seitenflächen des Felsens waren steil, mit glatten Quadern bepflastert und ragten unendlich in den Himmel, gekrönt von einem Ring mächtiger Mauern und breiten, viereckigen Türmen. Ein gewaltiges Kastell, das unzerstörbar wirkte, wären nicht auch hier die Schäden des Erdbebens offenkundig gewesen.
    Der Zug hielt vor einer breiten Treppe, die Teil des Brückenaufgangs war, der den Graben überspannte und hinauf zur Festung führte. Die Seldschuken mussten Boten vorausgeschickt haben, denn der Platz war für ein Spektakel vorbereitet, weiträumig mit Seilen abgesperrt und mit Bewaffneten gesichert.
    Hier stieg der Emir vom Pferd und erklomm die Stufen zu einem hölzernen Thron, auf dem er sich niederließ. Hinter ihm, auf der Treppe zur Festung, standen Männer seines Hofstaats, und vor ihm befand sich ein gewaltiger Richtblock. Ein Scharfrichter stützte sich auf eine lange Axt. Andere stocherten in der Glut einiger Kohlebecken oder hantierten mit eisernen Geräten. Ein erschrockenes Raunen ging durch die Gefangenen. Der Anblick verhieß nichts Gutes.
    »Ich weiß nicht, was sie mit uns vorhaben«, sagte Arnaut betroffen. »Aber nur, dass du’s weißt, Jori. Es gab nie einen treueren Gefährten als dich. Ich danke dir für alles, was du für mich getan hast.«
    Als Jori bei diesen Worten lächelte, war es, als würden für einen Augenblick alle Erschöpfung, Schmutz und Blut von seinem jungen Gesicht abfallen, als stünde vor Arnaut noch immer der aufgeweckte Knabe mit dem kecken Grinsen, den Severin und er einst in Narbona von der Straße aufgelesen hatten.
    »Du hast mir ein besseres Leben geschenkt, als ich mir jemals hätte erträumen können.«
    »Langweilig war es jedenfalls nicht.« Arnaut grinste grimmig.
    Die Menge, die den Platz säumte, tobte noch immer. Aber nun gab der Emir ein Zeichen, und nach einigem Zögern breitete sich eine erwartungsvolle Stille über den Platz.
    Der Hauptmann der
ghulam
in silberner Rüstung trat vor. Er trug einen unscheinbaren Ledersack, dessen

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