Die Hure: Roman (German Edition)
bist.«
»Mutter, ich habe Papa getötet«, sagt Nono. Aphrodite schweigt. »Mit voller Absicht«, fährt Nono fort. »Nicht mit Vorsatz, aber trotzdem mit Absicht.«
Nach langem Schweigen beginnt Aphrodite zu sprechen: »Ich war eine schlechte und verantwortungslose Mutter. Und mein Liebhaber, also dein Vater, war ein Schweinehund. Wenn ich noch einmal von vorn beginnen könnte, würde ich wahrscheinlich ganz genauso handeln. Ein Glück, dass es nicht nötig ist.«
Aphrodite begreift, dass sie Ares nie mehr den salzigen Schweiß vom muskulösen Hals lecken wird. Und auch von keinem anderen Körperteil. Das ist natürlich ein Verlust. In gewisser Weise hat sie alle ihre Geliebten verloren. »Aber jetzt kann ich mich auf mein zweites Kerngebiet konzentrieren«, sagt sie.
»Was ist das?«, fragt Nono.
»Die Mutterschaft. Und mit dir fange ich an.«
Nono braucht ihrer Mutter nicht von der Zirkusfrau zu erzählen und auch nicht von ihren zwölfstündigen Tanzproben oder davon, dass sie eigentlich ziemlich schüchtern ist, sie braucht nicht einmal über ihr problematisches Verhältnis zu älteren Männern zu sprechen. Aphrodite versteht, was Nono wirklich braucht. »Liebe und Achtung. Macht und Aufmerksamkeit. Medienpräsenz.«
Aphrodite sagt, so etwas kriegt man nicht durch Tanzen. Na ja, manche schon, aber dann muss man wirklich gut sein und all die Energie, die man auch für nützlichere Zwecke verwenden könnte, auf das Einstudieren von Tanzschritten vergeuden. »Und du kannst schließlich schon gehen und stehen.«
»Aber was könnte ich denn sonst tun? Ich habe keine spezielle Begabung.«
»Du bist Soldatin. Die Tochter des Kriegsgottes. Aber du bist auch meine Tochter. Und es gibt nur einen vernünftigen Grund, Krieg zu führen.«
»Welchen denn?«, fragt Nono.
Aphrodite erzählt, was sie auf ihren Reisen alles gesehen hat: Frauen werden verstümmelt und geschlagen und vergewaltigt, Kinder missbraucht, Tiere verspeist. »Ich will mir das nicht länger anschauen. Im Ernst, verdammt.« Die Verhältnisse sind ihr zuwider, aber jetzt weiß sie, was zu tun ist.
APHRODITE: Jemand muss für die Liebe Krieg führen.
NONO: Ist das nicht widersprüchlich?
APHRODITE: Ja, aber manchmal muss man Kompromisse eingehen. Die Menschen sind dickköpfig.
NONO: Zum Glück kann man Köpfe abschneiden.
APHRODITE : Genau! Meine liebe, schöne Tochter, steh gerade und sei du selbst. Dann bist du das vollkommene, aufrechte Wesen, das alles verteidigen kann, was gut ist. Selbst wenn es mit Gewalt verteidigt werden muss.
NONO: In Ordnung. Und wohin muss ich jetzt gehen?
APHRODITE: Du musst nirgendwohin gehen. Im günstigsten Fall ist es nicht einmal nötig, Blut zu vergießen. Zuerst bringe ich dir die Grundlagen des Schminkens bei. Dann rufen wir die Zeitungen an und erzählen ihnen, wer du bist und was du tust. Sie werden Fotos von dir machen, und alle Menschen werden die Bilder sehen und beeindruckt sein. Und dann können sie dich lieben oder fürchten.
NONO: Glaubst du, das funktioniert?
APHRODITE: Natürlich. Bilder haben eine unglaubliche Kraft, sie beherrschen uns. Glaub mir.
An einem stinknormalen Montagmorgen geht der verkaterte Odin zum Kiosk, um sich einen großen Becher Kaffee und ein Croissant zu holen. Die Croissants sind ausverkauft. »Mist«, schimpft Odin.
»Wir haben Zimtschnecken«, sagt die Verkäuferin.
»Ich will keine verdammten Zimtschnecken!«
Verärgert wirft er einen Blick auf den Zeitungsständer. Auf dem glänzenden Titelblatt jeder Illustrierten prangt das Bild einer jungen blonden Göttin, die mit einem Samuraischwert bewaffnet ist. Darüber stehen in Großbuchstaben Schlagzeilen wie »Fräulein Nono beherrscht die Welt«, »Mode-Ikone: Das Kind des Krieges und der Liebe, so schön und so gefährlich wie niemand zuvor« und »Wer dieser Frau dumm kommt, den schlachtet sie ab«.
Odin betrachtet die junge sexy Göttin. Sie kommt ihm vage bekannt vor, denkt er. Er überlegt und überlegt, bis ihm aufgeht, woher er dieses Mädchen kennt. Sie sieht allerdings verdammt viel besser aus als damals. Odin sucht auf seinem Handy nach Nonos Nummer und findet sie unter E: »E« wie »Exweiber«. Das Telefon klingelt lange.
NONO: Nonos Residenz, Nono am Apparat.
ODIN: Grüß dich.
NONO: Wer ist da?
ODIN: Ich. Erinnerst du dich nicht?
NONO: Wer?
ODIN : Odin.
NONO: …
ODIN: Hallo, bist du noch dran?
NONO: …
ODIN: Ich dachte, wir könnten uns treffen.
NONO: Ach.
ODIN: Ja. Ich kann dich ja
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