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Die Hure und der Henker

Die Hure und der Henker

Titel: Die Hure und der Henker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Arlt
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Obligationen über die an den Kurfürsten ausgeliehenen Capitalia
gezeigt. Ganz falsch war es nicht, was Valentin andeutete: Würde Kober den
Fürsten verärgern, sähe er womöglich sein Geld nicht mehr wieder.
    Für die Armen, sagte
Valentin, gelte jedenfalls, dass sie von den Schweden vielleicht getötet
würden, von der Pest und dem Hunger aber gewiss.
    »Die Stadttore bleiben zu.«
Kober musste das nicht begründen.
    »Ihr legt
Euch ja ordentlich für die Armen ins Zeug!«, spöttelte Pflücke.
    Und Judith,
das sollte ich mir vorstellen in der Nacht, Judith, diese Gemeinheit sollte ich
in der Nacht zu gestern begreifen, Judith, die ihn doch kenne wie niemand
sonst, Judith, die doch wie kein anderer Mensch wisse, worauf er im Leben
gehofft, wie sehr er gestrebt, sich bemüht, sich dafür angestrengt habe, Judith
habe darauf zu seinem Feind Pflücke gesagt: »Klein liebt doch das einfache
Volk, wisst Ihr das nicht? Jedenfalls, solange er nicht dazugehören muss.«
     
     
    Und dann,
mitten in der Nacht, war er aufgefahren. Er habe eine Idee! Eine gute Idee!
    Und ich hatte
gleich gewusst, dass eine Idee nicht gut sein konnte, die einem nicht erlaubte,
ein Kind schlafen zu lassen, einen Vierjährigen, den man sowieso immer
stundenlang nicht zum Einschlafen bekommt, denn mal muss er dann noch trinken,
mal pinkeln, mal die Nase putzen, mal hat er angeblich eine Spinne im Bett.
    Er habe eine
Idee, schrie Valentin in der Nacht. Er kriege die Stadttore auf, jawohl. Er
werde Judith ein bisschen drohen!

 
    23
     
     
     
    Nicht für
alle gab es gestern ein böses Erwachen, manche traf der Tod auch im Schlaf. Die
in der Nähe der Tore wohnten, wurden zuerst aus dem Schlaf, den Betten, ihren
Häusern gerissen. Zitternde Bürger gaben Geld, Schmuck, Hausrat, Silber, Zinn
und Kupfer her, verrieten Verstecke auch ohne Folter, Kinder heulten, Frauen
schrien, die an der Mauer Wohnenden traf es als Letzte. Von denen, die an der
Mauer wohnten, konnten in dem Durcheinander vielleicht noch die meisten
entfliehen, denn bei denen am Rande war nichts zu holen. Aber in die großen,
schönen Bürgerhäuser in der Marktstraße strömte der meiste Besuch. Auch wenn
die Häuser inzwischen nur noch groß und nicht mehr schön waren, seit es an
Baumaterial mangelte, auch an dem größten und schönsten Haus der Stadt, Kobers,
die Fassade neu zu verputzen, das Erkerfenster wegen der Fliegen verhangen, die
Bohlentür von den Axthieben eines Bauern entstellt war, der das letzte seiner
sieben Kinder, die anderen hatte man vor seinen Augen getötet, bis nach
Pritzwalk gerettet hatte, ihm dort, einem zweijährigen Mädchen, die Kehle
durchschnitt und danach jeden zu erschlagen drohte, der sich ihm in den Weg
stellen wollte. Den Soldaten gestern stellte sich keiner in den Weg, jedenfalls
keiner, der klug war. Ich weiß Bescheid. Ich habe in Pirna die Berichte über
die Plünderung Prags mit anhören müssen, ein wochenlanges Gemetzel, bei dem
niemand gefragt wurde, ob er evangelisch oder katholisch war. Ich habe im
Hurenzelt gehört, was mir Una und Suse über die Nacht erzählten, in der sie
mich fanden. »Du hast Glück gehabt«, sagten sie – drei Wochen nach meinem
Glück, als ich, rechts und links von ihnen gestützt, zum ersten Mal wieder zu
laufen versuchte.
     
     
    Als ich
Valentin gestern bat: »Geh nicht!«, sah ich wieder meinen Bruder vor mir. Als
er sich auf die Bibel berief, hörte ich wieder die Eltern streiten. Wer sich in
Gefahr begibt, kommt darin um.
    »Valentin,
geh nicht!«
    Warum
wiederholte sich bloß alles? Ich stand gestern Abend an den Tisch gelehnt, die
Arme verschränkt. Es war nicht Jura, es war nicht mein Bruder, es war Valentin,
den ich auf der Bank sitzen sah. Er griff in seinen Stiefel, förderte ein paar
Spelzchen und Krümel zutage, die Reste der Beifußstängel, die ihn davor
schützen sollten, in eine böse Spur zu treten. Andere wuschen sich die Füße mit
Essigwasser, rieben sie sich mit Zwiebeln oder Knoblauch ein, die
Wohlhabenderen schluckten pulverisierte Perlen und Edelsteine. Trotzdem starb
man ringsum an der Pest.
    Ich sah zu, wie er aufstand,
seinen Gürtel anlegte. Das Tuch, das er aus der Tasche zog, schien ihm noch
genügend nach Essig zu riechen. Er band es sich gegen die Fliegen vor Nase und
Mund. Er steckte die Pistole zu sich, ging zum Herd, wühlte mit Löffeln und
Quirlen klappernd im Tontopf. Ja, richtig, Junge, du brauchst auch ein
Messer. »… seid klug wie die Schlangen…« Ich hörte

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