Die Huren des Apothekers
jedoch zu langsam. Auf der Treppe brach ich zusammen.«
»Aber jetzt geht es dir wieder gut, Herrin?«
Sie nickte. »Nochmals Dank für deine Hilfe.«
Elße knickste. Das war ja wohl das Mindeste, wie
sie die Freundlichkeit der Dame vergelten konnte. Nur … »Frank! Er
befindet sich dort drinnen!«
Erschrocken fuhr Frau Luzia hoch. Betäubten etwa
auch ihn jetzt die Ausdünstungen? Sie brauchte Elßes Hilfe, um mit
ihr zum Anbau zu laufen. Den gesamten Weg überlegte Elße, wie sie
den schweren Leib des Henkers die Treppen hinauftragen könne, wenn
auch er zusammengebrochen wäre. Unweigerlich würde auch sie in den
Dämpfen ohnmächtig werden!
Eine unförmige Gestalt erschien unter dem
Torbogen. Erst auf den zweiten Blick erkannte sie den Henker.
Erleichterung überschwemmte ihr Herz. Über beide Schultern trug er
schwere Lasten, die er neben sich niederließ, bevor er auf den Boden
sank. Flüchtig prüfte Elße, dass die Frau des Gelehrten jetzt
allein stehen konnte, dann eilte sie zu ihm. Auch Frank war bleich im
Gesicht und atmete schwer, allerdings stemmte er sich schon aus
eigner Kraft hoch, bis er saß. Vorsichtshalber unterstützte Elße
ihn auch, allerdings kam ihr gleich der Gedanke, dass sie solch einen
schweren Mann unmöglich halten konnte.
Jetzt erst blickte sie auf das, was er mitgebracht
hatte. Rechts und links neben ihm lagen die nackten, ausgeweideten
Leiber von zwei Frauen. Die eine besaß Jonatas bronzenes Haar, der
anderen hingen kupferrote Strähnen in die trüben Augen. Elße
konnte das vorwurfsvolle Starren der Toten nicht ertragen, sie senkte
den Blick auf den nackten Busen und die aufgerissene Leibeshöhle.
Beim Betrachten der Armstümpfe schauerte sie zusammen. Das Fleisch
sah grau und glasig aus, gar nicht wie das, was man bei einem
Schlachter sah oder so wie eine frische Wunde. Schnell schaute sie zu
Jonata, doch auch ihr bleiches Gesicht bot keinerlei Trost. Also
stimmte es: Beide waren tot, ermordet, ihrer Kinder beraubt,
geschändet und verstümmelt.
Als ob bisher ein Glasfenster zwischen ihr und
ihren Gefühlen gestanden hätte, das auf einmal zerbrach, überfiel
sie plötzlich der Jammer mit der Vehemenz eines wilden Stiers. Elße
schluchzte auf, konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten und fiel
schmerzhaft auf die Knie. Der Schrei eines todwunden Tieres löste
sich aus ihrer Kehle, bevor sie die Hände vor den Mund riss, um sich
selbst zum Schweigen zu bringen. Jonata war tot! Wie dicht war sie an
ihrem Schicksal vorbeigehuscht, das ihr dasselbe bescheren wollte?
Wäre sie die nächste gewesen? Ihre Schultern zuckten, sie sank
zusammen und bettete ihre Stirn auf die Knie, bis sie kaum noch atmen
konnte. Tröstend strichen Hände über ihre Schultern und richteten
sie auf, nachdem ihr Schluchzen sie weniger krampfhaft überfiel.
Der dunkle Rock der Nachbarin verhinderte, dass
sie weiterhin die Leiche ihrer Freundin sehen musste. Ohne noch
einmal hinzuschauen, richtete Elße sich auf und wandte sich ab. Noch
immer liefen Tränen über ihre Wangen, schüttelte das Weinen ihre
Schultern.
»I hab die Kindle nit gefunde«, hörte sie die
halb erstickte Stimme des Henkers. »Im Topf war Salbe gekocht. Ob …
mein Sohn … Ich weiß es nicht.«
Das Herz tat Elße weh, als sie seine
zusammengesunkene Gestalt betrachtete. Wie musste er sich fühlen,
die Geliebte so zu finden und zu wissen, dass sein eigen Fleisch und
Blut zu Brei zerkocht und zerstampft in einem Topf köchelte? Gab es
etwas, das ihn von der Raserei abhalten konnte? Voll Mitleid beugte
sie sich über ihn, umarmte ihn und drückte ihn an sich. »Du armer
Mann«, flüsterte sie.
Frau Luzia war wieder völlig bei sich.
Hochaufgerichtet schaute sie um sich, behielt den Anbau im Auge. »Wir
müssen weg hier«, sagte sie. »Der Turmwächter hat einen Karren
zum Gärtnern hinterlassen. Er steht in einem Unterstand beim
Herrenhaus. Elße, hilfst du mir damit?«
Noch einmal drückte sie den starken Mann an sich,
dann stand Elße auf und lief hinter der Gelehrtenfrau her. Auf der
Grundstücksgrenze fanden sie den Schuppen, in dem Schaufeln, Rechen,
Körbe und Säcke gelagert wurden, daneben ein großer Handkarren für
Heu und Mist. Sie hielt die Lattentür auf, während Luzia das
Gefährt auf seinem einen Rad hinausbugsierte. Zu zweit fiel es ihnen
dann leicht, zurück zum Anbau zu fahren. Noch immer hockte Frank
zwischen den beiden Toten, aber er erhob sich mühselig, als er sie
kommen sah. Er duldete nicht, dass sie
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