Die Huren des Apothekers
davongeschwemmt hatten. Sein Herz pochte bis zum
Halse. Vorhin war es hier stockdunkel gewesen, doch nun schien ein
flackernder Lichtschein durch das Oberlicht. In seinem Rücken wurde
die Tür allmählich warm. Mit einer solchen Feuersbrunst hatte er
nicht gerechnet. Die Mumien und die Reagenzien des Apothekers
brannten lichterloh und mit einer Wut, die ihm unbegreiflich war.
Mehrere Explosionen ließen die Tür schmerzhaft gegen ihn schlagen.
Was, in allen Höllen, lagerte der Giftmischer dort?
Das unstete Licht beleuchtete eine dichte Säule
aus Rauch, die um sich selbst wirbelnd die Treppe emporstieg. Dort
hindurch musste er. Doch jeder Atemzug in diesem Qualm konnte ihn
töten. Hatte er sich selbst die Falle gebaut, in der er sich gerade
verfing? Und wenn schon. Ohne Bärbel war das Leben sinnlos. Wenn der
Herr entschied, ihm ein feuriges Grab zu bescheren, wollte er es
klaglos ertragen. Es gab schlimmere Tode, als in einem Scheiterhaufen
zu ersticken.
Kapitel 7 –
Das Schwert des Henkers
Obwohl Frau Luzia den Brustkorb der armen Jonata
straff mit Streifen aus zerrissenem Laken bandagiert hatte, um die
auseinandergebrochenen Rippen zu schließen, sah die Leiche in dem
hübschen Kleid erbärmlich mager aus. Auch die Bauchhöhle hatten
sie versucht auszustopfen, doch allein die Erinnerung an Jonatas weit
fortgeschrittene Schwangerschaft ließ das Bild einfach falsch
erscheinen, das sich vor Elßes Augen bot. Sauber aufgebahrt lagen
Jonata und Bärbel nebeneinander, beide mit gekämmten Haaren und
geschlossenen Augen. Die Arme hatte die Nachbarin gerade neben die
Körper gelegt und eine Decke über die beiden gebreitet, als ob sie
schliefen. Die Unmöglichkeit, ihnen die Hände über der Brust im
Gebet zu falten, tat Elße weh. Jeder Blick auf die Toten schmerzte
sie. Während der gesamten Prozedur, in der sie die Leichen
hergerichtet hatten, konnte Elße nicht einen Augenblick mit dem
Weinen aufhören. Ständig strömten ihr die Tränen die Wangen
herunter.
Am Schluss hatte die Gemahlin des Gelehrten eine
Kerze zu Füßen der beiden angezündet und sich auf den Boden
gekniet, um still zu beten. Dafür brachte Elße nicht die nötige
Ruhe auf.
»Ich werde nachschauen, wie weit der Mann mit dem
Grab ist«, sagte sie leise, wartete gar nicht auf Erlaubnis,
knickste und trat durch die Tür in die Nacht hinaus. Die kalte Luft
tat ihr wohl, klärte den Kopf und kühlte die brennenden Augen. Kurz
blieb sie stehen und schaute zum Himmel empor. Dort oben gibt es
einen neuen Stern, hatte ihre Mutter immer gesagt, wenn jemand
gestorben war. Vielleicht konnte der gelehrte Nachbar mit seinem
Instrument erkennen, wo Jonata ihre neue Heimat gefunden hatte –
und Elßes Mutter.
Noch vor wenigen Tagen waren Elße bei jedem
Gedenken an ihre Mutter die Tränen gekommen, diesmal jedoch blieben
ihre Augen trocken. Die Quelle war versiegt, für heute zu hart
ausgebeutet. Gott hatte ihre Mutter zu sich genommen, aber Jonata war
das Leben gestohlen worden. Das musste Elße betrauern, nicht das
gnädige Entschlafen einer alten Frau.
Elßes Blick schweifte über die Wiese, auf der
die Hausherrin Frank erlaubt hatte, ein Grab für seine Geliebte
auszuheben. Wo war er? Unangetastet lehnten die Grabwerkzeuge an der
Hauswand. Er hatte noch nicht einmal angefangen. Sorge regte sich in
Elßes Magengrube. Der leichtsinnige Mann würde doch nicht die
Dummheit begangen haben, noch einmal zum Anbau zurückzukehren? Drei
Knechte und der Apotheker erwarteten ihn dort. Ein Wunder, dass sie
bisher ungeschoren davongekommen waren. Jetzt musste aufgefallen
sein, dass jemand in das Gewölbe eingebrochen war, dass zwei Leichen
fehlten. Mit den vier Verbrechern konnte es Frank unmöglich allein
aufnehmen!
Elße raffte die Röcke und rannte so schnell, wie
sie konnte, zum Anbau. Vielleicht erreichte sie ihn rechtzeitig, um
ihn zurückzuhalten!
Völlig verausgabt trat sie aus dem Wald.
Brandgeruch empfing sie. Aus der offenstehenden Tür des Anbaus drang
Rauch. Frank hatte also die gotteslästerlichen Werke des Apothekers
im Gewölbe angezündet. Gut so! Elße lächelte zufrieden und
stemmte die Arme in die Hüften, um wieder zu Atem zu kommen.
»Da bist du ja wieder. Wir haben dich schon
gesucht!«
Elße fuhr herum. Hinter ihr stand Jerg und
grinste sie mit ausgebreiteten Armen an. Wo kam der denn auf einmal
her? »Weglaufen lohnt nicht. Du machst es nur noch schlimmer.«
Trotz der Warnung warf Elße sich herum, doch sie
hatte noch keinen
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