Die Huren des Apothekers
konnte. Wie
würde es sie schmerzen, in die fröhlichen Augen der Mädchen zu
blicken, die glaubten, eine Zuflucht vor der Unbill der Welt gefunden
zu haben, und doch bald bleich und ausgeweidet im Keller des
Apothekers hängen würden? Niemanden erregte das Schicksal dieser
Frauen, und wenn Mechthild die Säuglinge aus dem Leib der Mutter
geradewegs auf den Müllhaufen warf, würde das auch niemanden
aufregen. Höchstens vielleicht die wandernden Halunken, die um einen
weiteren Sklaven trauerten, den sie verkrüppelten und verkauften,
damit er zu Tode geschunden wurde.
Winzige Bewegungen ihres Handgelenks reichten aus,
den Dietrich im Schloss zu drehen. Lautlos öffnete sie die Tür und
schlüpfte hinein. Kein Laut drang zu ihr außer dem Rauschen des
eisigen Windes. Auf leisen Sohlen huschte sie gleich die Treppe
hinunter zur Tür zum Gewölbe. Dieses eine Schloss musste sie noch
öffnen und dann nie wieder über das nachdenken, was sich dort unten
befand.
Stimmen klangen aus dem Laboratorium. Luzia duckte
sich und spähte nach einem Versteck, aber niemand kam näher. Immer
mit einem Blick rückwärts gerichtet knackte sie das komplizierte
Schloss, ließ aber die Tür so, wie sie war.
Die Neugier siegte. Luzia schlich zurück zum
Laboratorium. Die Räume waren alle miteinander verbunden, also
suchte sie sich die Tür, aus der die Stimmen am leisesten klangen,
und schlüpfte hindurch. Wie vermutet befanden sich Henslin und ein
Knecht, den sie nicht namentlich kannte, im hintersten Zimmer und
beschäftigten sich mit einer Mumie.
»… nur grob zerbrechen«, hörte sie Henslin
sagen. »Den Rest macht die Mühle.«
»Warum steckst du nicht gleich alles zum
Zermahlen, Herr?« Die Stimme des Knechts klang mürrisch. Luzia
spähte um die Ecke und sah die beiden mit einem ausgetrockneten
Bein.
»Weil dann eine Menge Knochen mit hineinkäme,
was das Pulver erdig macht. Und überhaupt solltest du die Rezeptur
mir überlassen. Du hast deine Aufgabe. Jetzt murre nicht.«
»Dem Endres werde ich den Hosenboden stramm
ziehen, wenn er wieder auftaucht. Mich mit all der Arbeit allein
lassen! Und Jerg ist auch nicht besser. Haut ab, weil er sich mit der
blöden Kuh streitet!«
Ein dumpfes Klatschen ertönte, gefolgt von einem
Schmerzenslaut.
»Sprich nicht so von meinem Weib! Sie bleibt
deine Herrin, und wenn es dir hier nicht passt, kannst du ja auch
fortrennen! Bisher dachte ich, dir gefallen deine Privilegien.«
»Ja, Herr«, kam es kleinlaut von dem Knecht. »Um
Vergebung! Es ist nur so, dass ich noch nicht genau weiß, wie alles
hier läuft. Es gibt so viele Geheimnisse - da ist es mir so
herausgerutscht.«
»Sag nur, dir gefällt es nicht mit den Weibern!«
Ein dreckiges Lachen antwortete. »Hab noch nie so
viel gevögelt in meinem Leben! Ja, Herr, das gefällt mir gut.
Zuerst dachte ich, die dicken Bäuche stören, aber dann sagte mir
Jerg, ich solle es von hinten machen, da sieht man die nicht. Mag
Ottin über den Lohn klagen, ich mag es lieber sol! Die eine mit den
goldenen Haaren, die …«
»Langweile mich nicht mit Weibergeschichten.
Arbeite!«, kam es barsch von Henslin. Luzia zog sich zurück. Ein
Knochen knackte laut, dann hörte sie nur noch das Kratzen des
Stößels.
Sie drückte sich an die Wand und schloss die
Augen. Wie entsetzlich das Leben für die Frauen in der
Zufluchtsstätte aussah! Jederzeit mussten sie den Knechten zu Willen
sein, wurden zu Liebesdiensten ins Bordell gerufen, Mechthild ließ
sie hungern und schwer schuften. Wenn sie nicht spurten, drohten
schlimme Strafen bis hin zum Tod. Nein, Luzia musste sich kein
Gewissen machen. Was immer hier passierte, nachdem sie das Haus
verließ, sollte nur Gott richten.
Und wenn der neue Knecht gar nicht wusste, dass
die Mumie, die er gerade verarbeitete, vor Kurzem noch Mechthilds
Böden geschrubbt hatte? Egal. Seine übrigen Verbrechen reichten aus
für die höchste aller Strafen. Da musste er nicht noch zusätzlich
Morde auf seine Seele laden.
Allerdings konnte Luzias Anteil an dem Gelingen
von Franks Vorhaben größer sein. Sie schlich aus dem
Laboratoriumstrakt heraus wieder zur Tür in das Gewölbe und ging
hindurch. Henslin war beschäftigt, da musste sie nicht erwarten, ihn
dort unten zu treffen. Diesmal brauchte sie nicht ihr raffiniertes
Licht, denn sie kannte den Weg und wusste, dass es gleich heller
wurde. Wie am Vortag brannten nicht viele Lampen, aber es reichte,
dass sie nirgends stolperte. Bewusst mied sie den zentralen
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