Die Huren des Apothekers
stützte sich auf das Fensterbrett und streckte den Kopf weit vor.
»Dabei rechnete ich mit einem einzigen Lastenesel!« Das Kichern blieb Luzia im Hals stecken, als sie die zahlreiche Bedeckung des Wagentrecks erkannte. Der Reiter mit der Brustplatte winkte seine Kameraden heran, die ihre feurigen Rösser neben seines leiteten und temperamentvoll absprangen. Einer von ihnen übernahm es, die Zügel aufzunehmen und die Pferde an die Büsche zur Grundstücksgrenze zu führen, um sie dort anzubinden. Die Waffen, die sie bei sich trugen, hätten einer Armee genügt. Jeder von ihnen besaß ein Rapier oder wenigstens ein langes Messer, dazu auf der anderen Seite eine Pistole. Einige trugen an Riemen über die Schulter Arkebusen oder sogar moderne, langläufige Musketen.
»Wenn Herr Henslin sie nicht angekündigt hätte, ich würde jetzt im hintersten Loch des Kellers stecken und vor Furcht schlottern«, sagte Magdalene mit einem schiefen Grinsen, das trotzdem ihre Angst bewies.
»Und ich neben dir.« Auch Luzia konnte ein Schaudern nicht unterdrücken. Solange Söldner in einem Wirtshaus feierten und ihre Gulden verwürfelten, hatte sie sich gerne bei ihnen niedergelassen, um sich mit ihnen zu vergnügen. Aber außerhalb einer Stadt sollte man ihnen tunlichst aus dem Weg gehen. »Warum liefern sie nicht an seinen Laden in der Stadt?«
»Etliche der Karren kämen nicht durch die Gassen hindurch! Wahrscheinlich werden sie einen Bogen um Marburg machen. Kennst du eine Stadtwache, die diesen Haufen hineinließe?«
Nein, das konnte Luzia sich auch nicht vorstellen. Sie würden an einer Herberge außerhalb rasten, wohl am ehesten in Gisselberg oder gar Cappel. Viele Pilger zur Heiligen Elisabeth kamen dort unter, wenn die Gasthäuser der Stadt überfüllt waren. Dort gab es Lagerhäuser, in denen sich die Händler aus der Stadt ihre Waren abholen konnten, deren Ladenlokale sich nicht mit Karren anfahren ließen.
»Er ist gerissen, der Herr Apotheker«, stellte Luzia widerwillig fest. »Für Lagerraum an der Herberge müsste er zahlen, aber sein Haus liegt nahe der Heerstraße, die von den Karawanen benutzt wird. Da bekommt er seine Waren ins Haus gebracht und holt sie sich nach und nach in seine Apotheke, ohne einen Fuhrmann zu beschäftigen.«
»Allmählich wird mir bewusst, dass Geiz eines der herausragenden Charaktermerkmale unserer Nachbarn bezeichnet.« Magdalene rümpfte die Nase.
»Was sie gestern Abend nicht in den Mittelpunkt stellten.«
Jetzt reckte auch Luzia den Hals, denn die durcheinanderstehenden Karren bildeten eine Gasse, durch die ein weiterer Wagen herankam. Hinterdrein ging, begleitet von einem Pulk Händler und einem schwedischen Söldner mit rotem Bart, der Apotheker. Seine Brust schwoll unter der brokatenen Weste, er reckte das Kinn hoch, doch bei aller Anstrengung wirkte er neben dem vierschrötigen Nordmann wie ein Kind. Nungässer deutete hinter das Haus und winkte hektisch, als das Zugpferd zu dicht an einer Mauer entlangstapfte und der Wagen bedenklich ins Schwanken geriet. Als der Kutscher um die Ecke bog, womit Luzia ihn fast aus dem Blick verlor, blieb die Plane an einem Vorsprung hängen und entblößte einen hohen Stapel hölzerner Kisten in verschiedenen Formen, einige würfelförmig, andere in der Größe einer Reisetruhe, aber einige so groß, dass ein Bettgestell hinein gepasst hätte. Auf genau eine solche Kiste deutete der Apotheker und einer der Händler nickte. Henslin zog unter seinem Wams einen Beutel hervor und hob ihn mit Anstrengung in die Höhe, wo der Geschäftspartner danach griff. Im letzten Augenblick zog Nungässer das Geld zur Seite und gestikulierte in Richtung der Kiste. Verdrossen nickte der Händler, einer der Wagenknechte kletterte auf die Ladefläche und hantierte mit einem Brecheisen, bald half ihm ein Zweiter. Luzia sah sich nach dem Fernglas um, erinnerte sich aber, dass Lukas es auf dem Turm aufbewahrte. Unschlüssig trat sie von einem Fuß auf den anderen, aber als sie beobachtete, dass die Männer wohl länger brauchten, rannte sie aus dem Raum und kletterte die Stiegen hinauf. In Lukas‘ Reisekiste steckte es zusammen mit einem Stapel Bücher und einer Miniatur, die Luzia darstellte. Wann hatte er die anfertigen lassen? Und warum wusste sie nichts davon? Sie lächelte und spürte ein warmes Gefühl in ihrem Herzen.
Einer der Fuhrknechte fluchte so laut, dass sie zusammenfuhr. Wenn sie sehen wollte, was Nungässer geliefert bekam, sollte sie sich besser
Weitere Kostenlose Bücher