Die Huren des Apothekers
beeilen. Sie raffte das Instrument an sich, schlug die Kiste zu und sprang die Stufen wieder hinunter. Magdalene starrte angestrengt aus dem Fenster und hatte nicht einmal Luzias Abwesenheit bemerkt. Um so besser, dann würde sie ihr auch nicht das Fernglas streitig machen. In Windeseile justierte Luzia die Gläser ein, bis sie die Knechte deutlich erkannte. Zusammen mühten sie sich mit dem Deckel ab, bis er aufsprang. Achtlos warfen sie ihn zur Seite und stellten die Kiste auf. Als ob dieses Schauspiel nur für Luzia gemacht sei, bekam sie den schönsten Ausblick darauf, was sie enthielt.
Sackleinen verhüllte etwas und der erste Knecht zog den Lappen herunter. Luzia erschrak. Ein Gesicht starrte zu ihr herüber. Erst auf den zweiten Blick erkannte sie, dass es sich um eine Skulptur handelte, leuchtende Farben umrahmten ein Puppengesicht. Sogar aus dieser Entfernung bewunderte sie die Kunstfertigkeit der Zeichnung, die einen kostümierten Mann mit überkreuzten Armen darstellte. Warum bestellte sich der Apotheker eine solche Statue? Wollte er die Einrichtung der weitläufigen Räume des Schlosses nachahmen, in denen griechische Monumente standen? Das amüsierte Luzia. Mit all der unnützen Zier wirkte die Wohnung des Apothekers nur überladen, keinesfalls vornehm.
Der eine Knecht hielt die Kiste aufrecht, der andere machte sich an der Statue zu schaffen. Er klappte sie auf. Überrascht sog Luzia die Luft ein. Damit hatte sie nicht gerechnet. Es handelte sich also um eine seltsam geformte Truhe, kein antikes Kunstwerk. Als der Deckel völlig geöffnet war, vergaß Luzia vollends zu atmen. Ein Mensch steckte in der Truhe. Zumindest erkannte sie die Umrisse eines eingewickelten Körpers.
»Eine Mumie, wie er sagte.« Magdalene nickte wissend.
»Also … tatsächlich ein Mensch?« Luzia wunderte sich.
»Der Leichnam eines lange verstorbenen Pharaos, eines Ägypterkönigs. So lange Jahrhunderte verbrachte er in der Geborgenheit der Erde, um nun von diesem Barbaren zu Pulver zermahlen zu werden, zwei Löffel bei Kopfweh. Gott strafe ihn!«
Magdalenes Gesicht zeigte eine hektische Röte, die Luzia beunruhigte. So sehr hatte sich die Schwägerin schon lange nicht mehr aufgeregt! »Was empört dich daran?«
»Ach, ich denke nur, dass dieser eingewickelte Mann vielleicht Moses oder König David gekannt hat, möglicherweise den Messias bei seinem Exil in Ägypten traf. Manche Heilige verehren wir aus nur dem Grund, Zeuge eines Wunders gewesen zu sein. Und diese Hände, die womöglich in denen des Heilands gelegen haben, zerstoßen wir zu Brei und streichen sie auf grintige Ohren? Ein Sakrileg, bei dem sich mir die Haare aufstellen!« Kurz hatte Luzia vergessen, wie sehr Magdalene an Dingen der Vergangenheit hing, an alten Schriften aus der Antike, wie gerne sie Geschichten über längst verflossene Tage lauschte, darüber, wie die Menschen zu biblischen Zeiten gelebt und gehandelt hatten. Keine Gelegenheit ließ sie aus, Lukas darum zu bitten, ihr alte Schriften mitzubringen, und wenn sie noch so zerlesen und verblichen waren. Einen solchen dicken Lederfolianten hatte sie sich für helle Sonnenstunden vorgenommen, in denen sie die kaum noch lesbaren Buchstaben sorgfältig mit frischer Tinte nachmalte und so Sinn in den anderweitig unleserlichen Text brachte.
»Aber … wenn es ein Heide war?«
»In vorchristlicher Zeit gab es nur Heiden, was uns nicht davon abhalten sollte, ihre Verdienste zu würdigen! Wenn der Heiland noch nicht geboren war, wie konnte jemand ihm huldigen? Sogar der selbstgerechteste Pfaffe befürwortet die Missionierung von Heiden. Erst wenn einer von ihnen wissentlich die Erlösung ablehnt, dürfen wir über ihn richten.«
Wenn Magdalene das so sagte, wollte Luzia ihr glauben, denn nichts las die Schwägerin lieber als die Geschichten der Märtyrer, deren blutiges Schicksal ihr oft als Trost diente, ihre eigenen Erlebnisse anzunehmen, ohne darüber zu verzweifeln. Ja, auch Prostituierte, Zauberer und sogar Mörder hatten ihren Weg gefunden und so viel Gutes für die Menschheit getan, dass sie heiliggesprochen wurden. Was wussten sie von dem armen Mann, dessen Leichnam dort unten so respektlos geschändet werden sollte?
»Ich hörte, auch der Körper eines Heiligen verwese nicht und gleiche in manchen Fällen dem einer Mumie«, setzte Magdalene hinzu.
»Und wenn … wenn dies ein Heiliger wäre?« Vielleicht kam die Lieferung gar nicht aus dem Orient, sondern ein Unverweslicher war aus einer
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