Lange Zähne
1. KAPITEL
Tod
Der Sonnenuntergang bepinselte die
große Pyramide mit Purpur, während der Kaiser in der Gasse darunter genüßlich
einen Strahl Wasser an einem Müllcontainer abließ. Bodennebel kroch von der
Bucht herauf, schlängelte sich um die Säulen und über die Betonlöwen und brach
sich schließlich an den Türmen, in denen das Geld des Westens bewegt wurde. Das
Bankenviertel: Vor einer Stunde flossen hier noch Ströme von Männern in grauer
Schurwolle und Frauen mit Pumps. Jetzt waren die Straßen verlassen - still bis
auf ein Nebelhorn, das über die Bucht muhte wie eine einsame Kuh.
Der Kaiser schüttelte die letzten
Tropfen von seinem Szepter ab, schauderte fröstelnd, dann zog er den
Reißverschluß an seinem Hosenstall zu und wandte sich zu den königlichen Hunden
um, die geduldig hinter ihm warteten. »Das Nebelhorn klingt heute abend
ungewöhnlich traurig, findet ihr nicht auch?«
Der kleinere der Hunde, ein Boston
Terrier, senkte den Kopf und leckte sich die Lefzen.
»Bummer, du bist so einfältig!
Meine Stadt verfällt vor deinen Augen. Die Luft ist von Gift geschwängert, die
Kinder erschießen einander auf offener Straße, und jetzt rafft auch noch diese
Seuche, diese schreckliche Seuche, mein Volk zu Tausenden dahin, aber du denkst
nur ans Fressen.«
Der Kaiser deutete mit einem
Nicken auf den größeren Hund, einen Golden Retriever. »Lazarus weiß um die
Bürde unserer Verantwortung. Muß man sterben, um Würde zu finden? Manchmal
frage ich mich das.«
Lazarus legte die Ohren an und
knurrte.
»Habe ich dich beleidigt, mein
Freund?«
Nun begann auch Bummer zu knurren
und wich von dem Müllcontainer zurück. Der Kaiser drehte sich um und sah, wie der
Deckel des Containers langsam von einer bleichen Hand hochgedrückt wurde. Eine
Gestalt, ein Mann, stand im Müllcontainer auf, sein dunkles Haar zerzaust und
gespickt mit Abfall, seine Haut weiß wie Knochen. Er sprang seitlich aus dem
Müllcontainer und fauchte den kleinen Hund an, wobei er lange weiße Fangzähne
bloßlegte. Jaulend versteckte sich Bummer hinter dem Bein des Kaisers.
»Reiß dich zusammen«, befahl der
Kaiser. Er warf sich in die Brust und schob die Daumen unter das Revers seines
zerschlissenen Mantels.
Der Vampir wischte ein verfaultes
Salatblatt von seinem schwarzen Hemd und grinste. »Ich lasse dich leben«,
erklärte er. Seine Stimme klang wie eine Feile, die man über uraltes,
verrostetes Metall zieht. »Das ist deine Strafe.«
Der Kaiser riß entsetzt die Augen
auf, aber er ließ sich nicht einschüchtern. Der Vampir lachte, dann drehte er
sich um und verschwand im Nebel.
Dem Kaiser lief es kalt den Nacken
hinunter. Er ließ den Kopf hängen und dachte: Bitte nicht. Meine Stadt stirbt
an Gift und der Seuche, und jetzt sucht auch noch diese - diese Kreatur die
Straßen heim. Die Verantwortung ist erdrückend. Kaiser hin oder her, ich bin
auch nur ein Mensch. Ich bin schwach wie Wasser: Es gilt ein ganzes Reich zu
retten, doch im Moment würde ich für eine Familienportion knusprig gebratener
Hähnchenteile des Colonels meine Seele verkaufen. Ah, aber ich muß den Truppen
mit gutem Beispiel vorangehen. Ich vermute, es könnte schlimmer sein. Ich
könnte der Kaiser von Oakland sein.
»Kinn hoch, Brust raus, Jungs«,
sagte der Kaiser zu seinen Hunden. »Wenn wir gegen dieses Ungeheuer in die
Schlacht ziehen wollen, dann brauchen wir Kraft. In North Beach gibt es eine
Bäckerei, die bald ihre altbackenen Waren wegwerfen wird. Machen wir uns auf.«
Er schlurfte los und dachte bei sich: Nero hat auf seiner Fidel gespielt,
während sein Reich in Schutt und Asche zerfiel ; ich werde trockene
Backwaren essen.
Während der Kaiser die California
Street entlangmarschierte und versuchte, sich die Ohnmacht der Macht mit der
Aussicht auf einen Puderzucker-Doughnut zu versüßen, verließ Jody die Pyramide.
Jody war sechsundzwanzig und hübsch auf eine Art, die in Männern den Wunsch
weckte, sie mit Flanellbettzeug zuzudecken und ihr noch einen Kuß auf die Stirn
zu geben, bevor sie das Schlafzimmer verließen ; niedlich, aber nicht
schön.
Als sie unter den riesigen
Betonstrebepfeilern der Pyramide durchkam, hinkte sie wegen einer
Strumpfhosen-Beschädigung. Die Laufmasche, die sich breit von der Hacke bis zur
Kniekehle hinten an ihrem Bein hinaufzog - das Ergebnis einer heimtückischen
Aktenschublade (Schadensfälle, X-Y-Z), die plötzlich vorgeschnellt war und ihr
in den Knöchel gebissen hatte - tat nicht
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