Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion
Erhaltung weniger Überbleibsel der klassischen Vergangenheit verschrieben hatte. Ich betrachtete das alte Archivgebäude hinter mir und sah ein, daß er genau das war.
»Wie heißen Sie?« fragte ich und achtete nicht mehr darauf, ob ich das wissen sollte, weil es der andere Keats-Cybrid gewußt hatte.
»Edward B. Tynar«, sagte er, betrachtete blinzelnd meine ausgestreckte Hand, dann erst ergriff er sie. Sein Händedruck war fest.
»Ich bin ... Joseph Severn.« Ich konnte ihm schlecht sagen, daß ich die technische Reinkarnation des Mannes war, dessen Gruft wir soeben verlassen hatten.
M. Tynar zögerte nur einen Sekundenbruchteil lang, bevor er nickte, aber mir wurde klar, daß einem Gelehrten wie ihm der Name des Künstlers, der in Keats' Todesstunde bei ihm gewesen war, nicht unbekannt sein würde.
»Was ist mit Hyperion?« fragte ich.
»Hyperion? Oh, die Protektoratswelt, wo die Raumflotte vor ein paar Tagen hinbeordert wurde. Nun, soweit ich mitbekommen habe, hat man Schwierigkeiten, die dringend benötigten Kriegsschiffe von dort zurückzuholen. Die Kampfhandlungen vor Ort sind erbittert. Bei Hyperion, meine ich. Seltsam, ich mußte gerade an Keats und sein unvollendetes Meisterwerk denken. Seltsam, wie sich diese kleinen Zufälle zu häufen scheinen.«
»Hat die Invasion schon stattgefunden? – Von Hyperion?«
M. Tynar war bei seinem EMV stehengeblieben, jetzt legte er die Hand auf ein Handflächenschloß auf der Fahrerseite. Türen hoben sich und klappten ziehharmonikaförmig nach innen. Ich ließ mich in den Sandelholz-und-Leder-Geruch der Passagierzelle sinken; Tynars Fahrzeug roch wie das Archiv, wie der Archivar selbst, stellte ich fest, als dieser auf dem Fahrersitz neben mir Platz nahm.
»Ich weiß nicht, ob die Invasion schon stattgefunden hat«, sagte er, versiegelte die Türen und aktivierte das Gefährt mit einer Berührung und einem Befehl. Unter dem Geruch von Sandelholz und Leder roch das Cockpit wie das aller neuen Fahrzeuge nach frischen Polymeren und Ozon, Schmiermitteln und Energie – ein Geruch, der die Menschheit seit fast einem Jahrtausend verführte. »Es ist heutzutage so schwer, sich einzuklinken«, fuhr er fort, »die Datensphäre ist überlasteter, als ich sie je gesehen habe. Heute nachmittag mußte ich sogar wegen einer Anfrage nach Robinson Jeffers warten!«
Wir hoben ab und flogen über den Kanal, direkt über einen öffentlichen Platz wie dem, wo ich heute fast getötet worden wäre, und schwenkten auf eine tiefe Flugbahn dreihundert Meter über den Dächern ein.
Nachts sah die Stadt hübsch aus: Die meisten alten Bauwerke wurden von altmodischen Scheinwerfern angestrahlt, es gab mehr Straßenlaternen als Werbeholos. Aber ich sah Menschenmengen dicht gedrängt in den Nebenstraßen, und Militärfahrzeuge der SST von Renaissance schwebten über den Hauptstraßen und Terminexplätzen. Tynars EMV wurde zweimal um Identifizierung gebeten, einmal von der örtlichen Verkehrskontrolle und einmal von einer menschlichen Stimme im barschen Tonfall von FORCE.
Wir flogen weiter.
»Besitzt das Archiv keinen Farcaster?« fragte ich und sah in die Ferne, wo Feuer zu brennen schienen.
»Nein. Es bestand keine Notwendigkeit. Wir haben wenig Besucher, und die Gelehrten, die doch kommen, stören die paar Minuten zu Fuß nicht.«
»Wo ist der private Farcaster, den ich Ihrer Meinung nach benützen könnte?«
»Hier«, sagte der Archivar. Wir verließen die Flughöhe und umkreisten ein Gebäude mit nicht einmal dreißig Stockwerken, dann sanken wir auf einen vorstehenden Landeflansch direkt neben einer Stelle, wo Dekoflansche der Glennon-Height-Periode aus Stein und Plasteel aufragten. »Mein Orden unterhält hier seinen Sitz«, sagte er. »Ich gehöre einem vergessenen Zweig des Christentums an, der Katholizismus heißt.« Er sah verlegen drein. »Aber Sie sind Gelehrter, M. Severn. Sie kennen diese Kirche sicher aus alten Zeiten.«
»Ich kenne sie nicht nur aus Büchern«, sagte ich. »Ist dies ein Priesterorden?«
Tynar lächelte. »Priester wohl kaum, M. Severn. Wir sind acht im Laienorden der Historischen und Literarischen Bruderschaft. Fünf arbeiten an Reichs Universität. Zwei sind Historiker, die an der Restauration der Abtei Lutzchendorf arbeiten. Ich verwalte das literarische Archiv. Die Kirche hat festgestellt, daß es billiger ist, wenn wir hier wohnen, und nicht täglich von Pacem hierher pendeln.«
Wir betraten einen Apartmentstock – der selbst nach
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