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Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion

Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion

Titel: Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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aus einem Dösen, zerschmettere den Traum von Oberst Kassad, der mit dem Shrike um das Leben von Sol und Brawne Lamia kämpft, und sehe Hunt am Fenster, wo das Abendlicht seinem Gesicht die Farbe von Terrakotta verleiht.
    »Ist es noch da?« frage ich, und meine Stimme klingt wie das Raspeln einer Feile auf Stein.
    Hunt zuckt zusammen, dann dreht er sich mit um Nachsicht bittendem Lächeln und dem ersten Erröten seines mürrischen Antlitzes, das ich zu sehen bekommen, zu mir um. »Das Shrike?« sagt er. »Ich weiß nicht. Ich habe es eine Weile nicht mehr gesehen. Aber ich spüre, daß es da ist.« Er sieht mich an. »Wie geht es Ihnen?«
    »Ich sterbe.« Ich bedauere das Selbstmitleid dieser Phrase augenblicklich, mag sie auch noch so zutreffend sein, als ich die Pein sehe, die sie Hunt verursacht. »Schon gut«, sage ich fast jovial, »ich habe es schon einmal durchgemacht. Es ist ja nicht so, daß ich sterbe. Ich existiere als Persönlichkeit tief im Innern des Techno-Core. Es ist nur dieser Körper. Dieser Cybrid von John Keats. Diese siebenundzwanzig Jahre alte Illusion aus Fleisch und Blut und geborgten Assoziationen.«
    Hunt kommt herüber und setzt sich auf die Bettkante. Ich stelle betroffen fest, daß er im Lauf des Tages die Laken gewechselt und meine blutbespritzte Decke gegen eine seiner eigenen ausgetauscht hat. »Ihre Persönlichkeit ist eine KI im Core«, sagt er. »Dann müßten Sie doch Zugang zur Datensphäre haben.«
    Ich schüttle den Kopf, da ich zu erschöpft bin, zu widersprechen.
    »Als die Philomels Sie entführt haben, konnten wir Sie mittels ihrer Zugangsroute zur Datensphäre aufspüren«, beharrte er. »Sie müssen Gladstone nicht persönlich kontaktieren. Hinterlassen Sie nur eine Nachricht, wo der Sicherheitsdienst sie finden kann.«
    »Nein«, krächze ich. »Das wünscht der Core nicht.«
    »Blockieren sie Sie? Verhindern es?«
    »Noch nicht. Aber das würden sie.« Ich plaziere die Worte zaghaft zwischen keuchenden Atemzügen, wie man dünnschalige Eier in einen Korb legen würde. Plötzlich erinnere ich mich an einen Brief, den ich Fanny kurz nach einem schweren Blutsturz, aber noch ein Jahr bevor ich daran sterben sollte, geschrieben hatte. Ich hatte geschrieben: »Sollte ich sterben«, sprach ich selbst zu mir, »habe ich kein unsterbliches Werk hinterlassen – nichts, was meine Freunde stolz auf mein Angedenken machen würde –, aber ich bewunderte das Prinzip des Schönen in allen Dingen, und wäre mir die Zeit geblieben, ich hätt' dafür gesorgt, daß man meiner gedenkt.« Das erscheint mir jetzt vergeblich und egozentrisch und idiotisch und naiv ... und dennoch glaube ich immer noch verzweifelt daran. Wenn ich Zeit gehabt hätte ... die Monate, die ich auf Esperance verbracht und so getan hatte, als wäre ich ein darstellender Künstler; die Tage, die ich mit Gladstone im Regierungsgebäude vergeudet hatte, während ich hätte schreiben können ...
    »Wie wollen Sie das wissen, wenn Sie es nicht versuchen?« fragt Hunt.
    »Was denn?« frage ich. Die simple Anstrengung, zwei Silben zu formen, löst einen erneuten Hustenanfall aus, der erst aufhört, als ich halbfeste Blutklumpen in das Becken gespuckt habe, das Hunt hastig bereithält. Ich lege mich zurück und versuche, mich auf sein Gesicht zu konzentrieren. Es wird dunkel in dem kleinen Zimmer, keiner von uns beiden hat eine Lampe angezündet. Draußen plätschert laut der Brunnen.
    »Was denn?« frage ich wieder und versuche, aufmerksam zu bleiben, obwohl Schlaf und Träume an mir zehren. »Was versuchen?«
    »Eine Botschaft durch die Datensphäre weiterzugeben«, flüstert er. »Mit jemandem Verbindung aufzunehmen.«
    »Und was für eine Botschaft sollten wir hinterlassen, Leigh?« frage ich. Ich habe zum ersten Mal seinen Vornamen benützt.
    »Wo wir sind. Wie der Core uns entführt hat. Alles.«
    »Na gut«, sage ich und mache die Augen zu. »Ich versuche es. Ich glaube nicht, daß sie es zulassen, aber ich verspreche, daß ich es versuchen werde.«
    Ich spüre Hunts Hand, die meine hält. Selbst durch die siegreichen Wogen der Erschöpfung reicht dieser plötzliche menschliche Kontakt aus, mir die Tränen in die Augen zu treiben.
    Ich werde es versuchen. Bevor ich mich Träumen oder dem Tod ergebe, werde ich es versuchen.
     
    Oberst Fedmahn Kassad ließ einen Kriegsruf von FORCE ertönen und rannte durch den Staubsturm, um das Shrike aufzuhalten, bevor es die letzten dreißig Meter zu der Stelle zurücklegen

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