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Die Hyperion-Gesänge

Die Hyperion-Gesänge

Titel: Die Hyperion-Gesänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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ich: »Was ist?« Ich streckte die Hand aus, berührte ihn aber nicht.
    Er sprach weiter, ohne sich umzudrehen. »Vielleicht habe ich mich geirrt, als ich gesagt habe, das Bewusstsein könnte nicht menschlich sein«, flüsterte er. »Es wäre möglich, dass die entstehende Person menschlich sein könnte, von einem gewissen göttlichen Wahnsinn beseelt und mit einer metahumanen Perspektive versehen. Es könnte sein, wenn man alle Erinnerungen an unsere Zeit, das gesamte Bewusstsein des Core ausmerzt, dass es die Persönlichkeit sein könnte, auf die der Cybrid programmiert wurde …«
    »John Keats«, sagte ich.
    Johnny wandte sich vom Fenster ab und schloss die Augen. Seine Stimme klang heiser und emotional. Ich hörte ihn zum ersten Mal Dichtung rezitieren:
    »Besessene träumen und weben darin
Ein Paradies für den Heiligen, den Wilden auch
Aus tiefsten Schlafes Traumgestaden
Den Himmel beschreiben; Erbarmen kennen sie nicht
Verew’gen auf Papyrus oder Blatt
Die Schatten von melodischem Ausdruck.
Doch sie leben, träumen, sterben ohne Lorbeerkranz;

Denn Poesie allein kann ihre Träume nennen,
Kann mit der Worte Zauberbann allein
Retten die Fantasie vor falschem Schein
Und dumpfer Verzückung. Welch Lebender kann sagen:
›Du bist kein Dichter, darfst den Traum nicht schildern?‹
Hat jeder Mensch doch, dessen Seel’ nicht stumpf,
Visionen, die er schreiben würde,
Wär er in seiner Muttersprach bewandert.
Ob dieser Traum, des Anbeginn nun folgt,
Von Dichter oder Besessenem erdacht, wird erst,
ist diese warme Hand im Grab, ersichtlich sein.«
    »Das verstehe ich nicht«, sagte ich. »Was bedeutet es?«
    »Es bedeutet«, sagte Johnny und lächelte sanft, »dass ich weiß, welche Entscheidung ich getroffen habe und warum. Ich wollte kein Cybrid mehr sein, sondern ein Mensch werden. Ich wollte nach Hyperion. Das will ich immer noch.«
    »Und vor einer Woche hat dich jemand wegen dieser Entscheidung getötet«, sagte ich.
    »Ja.«
    »Und du wirst es wieder versuchen?«
    »Ja.«
    »Warum überträgst du hier kein Bewusstsein in deinen Cybrid? Wirst im Netz zum Menschen?«
    »Das würde niemals funktionieren«, sagte Johnny. »Was du als komplexe interstellare Gesellschaft ansiehst, ist nur ein kleiner Teil der Realitätsmatrix des Core. Ich würde ständig mit den KIs konfrontiert und ihrer Barmherzigkeit ausgeliefert sein. Die Keats-Persönlichkeit … Realität… würde nie überleben.«
    »Also gut«, sagte ich, »du musst das Netz verlassen. Aber es gibt noch andere Kolonien. Warum Hyperion?«
    Johnny nahm meine Hand. Seine Finger waren lang und
warm und kräftig. »Verstehst du denn nicht, Brawne? Da besteht ein Zusammenhang. Es könnte durchaus sein, dass Keats’ Träume von Hyperion eine Art von transtemporaler Kommunikation zwischen seiner damaligen Persönlichkeit und seiner heutigen Persönlichkeit gewesen sind. Hyperion ist das entscheidende Geheimnis unserer Zeit – physisch und poetisch –, und es wäre durchaus möglich, dass er … dass ich geboren wurde, starb und wiedergeboren wurde, um es zu erforschen.«
    »Hört sich nach Irrsinn an«, sagte ich. »Nach Größenwahnsinn.«
    »Mit ziemlicher Sicherheit«, sagte Johnny lachend. »Und ich bin noch nie glücklicher gewesen!« Er ergriff meine Hände, zog mich auf die Füße und schlang die Arme um mich. »Willst du mich begleiten, Brawne? Mit mir nach Hyperion kommen?«
    Ich blinzelte überrascht, sowohl über seine Frage wie auch die Antwort, die mich wie Wärme durchpulste. »Ja«, sagte ich. »Ich komme mit.«
    Dann begaben wir uns in den Schlafteil und liebten uns den Rest des Tages, und schließlich schliefen wir und erwachten im trüben Licht von Schicht Drei im Industriegraben draußen. Johnny lag auf dem Rücken, hatte die mandelbraunen Augen offen und sah gedankenverloren zur Decke. Aber nicht so verloren, dass er nicht gelächelt und die Arme um mich gelegt hätte. Ich rieb die Wange an ihm, kuschelte mich in die Mulde, wo die Schulter in die Brust übergeht, und schlief wieder ein.
     
    Ich trug meine beste Kleidung – einen Anzug aus schwarzem Cord, eine Bluse aus Renaissanceseide, einen Blutstein von Carvnel um den Hals, einen schrägen Dreispitz von Eulin Bré –, als Johnny und ich am nächsten Tag nach TC 2
farcasteten. Ich ließ ihn in der Holz-und-Messing-Bar beim Hauptterminex zurück, aber vorher schob ich ihm Dads alte Automatik in einer Papiertüte über den Tisch und sagte ihm, er sollte jeden

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