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Die Hyperion-Gesänge

Die Hyperion-Gesänge

Titel: Die Hyperion-Gesänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Tradition der Hochromantik verwurzelt war und nicht wie seine Zeitgenossen und Freunde Percy und (vor allem) Mary Shelley die poetischen Fühler nach dem Zittern, das die industrielle Revolution ankündigte, ausstreckte, hat er damit in gewisser Weise noch präziser als »Frankenstein« den Kern dessen getroffen, was die Science Fiction später kennzeichnen sollte: Denn wir sind es, die die jeweils veralteten Götter vertreiben; wir sind es, die überhaupt von »Gott« besessen sind, von der Möglichkeit, es ihm, wie Sol Weintraub sagt, »auf seinem Grund und Boden zu zeigen«; wir sind es, die so lange an den Unzulänglichkeiten dieser Welt herumbasteln werden, bis wir uns selbst wie Gott fühlen; und wir  – also unsere Abkömmlinge in ferner Zukunft, sollte es denn eine solche Zukunft geben  – sind es, die diesen ganzen Schlamassel ausbaden müssen. Das ist das den »Hyperion-Gesängen« zugrundeliegende, wenn man so will, hermeneutische Programm (das Dan Simmons in den beiden »Endymion«-Bänden konsequent weiterverfolgt, in denen er Brawne Lamias Tochter Aenea, die, wie es am Ende der »Hyperion-Gesänge« anklingt, »Lehrende«, durch Raum und Zeit jagt): Wer oder was steckt wirklich dahinter? Wer belügt wen, wer manipuliert wen, wer erzeugt wen? Welcher Gott, wie Borges fragt, beginnt hinter Gott das »Spiel mit Staub und Zeit und Traum und Tränen«? Und wer, wie Simmons fragt, wird dieses Spiel eines Tages gewinnen?
    Das alles könnte den »Hyperion-Gesängen« durchaus einen Zug ins Religiös-Eschatologische verleihen, wie er der Science Fiction – man denke an die unerträglich verquasten Matrix -Fortsetzungen  – zuweilen eigen ist, aber wenn es um Bodenhaftung
geht, kann es mit Dan Simmons kaum ein anderer Schriftsteller aufnehmen (lesen Sie seinen großartigen historischen Roman »Terror« und Sie wissen, was ich meine): Im scharfkantigen Hyperion-Universum sind Zeit und Glaube und Physik Macht – und Macht ist auch in der Zukunft immer noch die wichtigste Währung, in der gehandelt wird – und im Übrigen gilt das Benjamin’sche Diktum, wonach jeder Akt der Zivilisation gleichzeitig ein Akt der Barbarei ist. Und trotzdem kann es passieren, dass die reduktionistischrationalistische Sichtweise nur eine von vielen ist: dass ein Baumschiff mehr ist als ein Raumschiff aus Holz und eine schwimmende Insel mehr als eine Laune der Natur. Und dass ein Wesen mit vier Armen und einem Panzer aus stählernen Dornen und diabolisch leuchtenden Augen, das sich durch die Zeiten bewegt, als ginge es mal eben zum Einkaufen, mehr ist als eine irgendwann von uns zu irgendeinem Zweck erzeugte Maschine – vulgo also ein Symbol, eine Allegorie, eine Metapher für die menschliche Hybris. Und auch mehr als der berühmte Hitchcock’sche MacGuffin, der lediglich dazu dient, die Handlung voranzutreiben. Nein, das Shrike – um das sich Simmons wie ein vituoser Akrobat schraubt und windet, sorgfältig darauf achtend, dass er sein Mysterium nicht preisgibt oder gar für einen billigen Effekt opfert – ist das, was wir verstehen wollen, aber nicht können; das, was sich hinter dem Spiegel befindet; das so wundervolle wie erschreckende Rätsel, das es nicht zu lösen, sondern zu bestaunen gilt. (Nicht nur ästhetisch drängt sich hier eine Parallele zu Ridley Scotts Alien auf: Der Versuch einer Antwort auf die Frage, was dieses außerirdische Wesen ist und woher es stammt, generiert, wie im neuesten Film der Serie Prometheus , gänzlich neue, unerwartete, größere Fragen.)
    Und was befindet sich nun hinter dem Spiegel? Wollen Sie es wirklich wissen?

    In Shakespeares »König Lear« gibt es im vierten Akt die herrliche Szene, in der der erblindete und lebensmüde Gloster meint, dass ihn sein Sohn Edgar an den Rand einer Klippe führt:
    GLOSTER: Wann kommen wir zum Gipfel dieses Bergs?
    EDGAR: Ihr klimmt hinan, seht nur, wie schwer es geht!
    GLOSTER: Mich dünkt, der Grund ist eben.
    EDGAR: Furchtbar steil. Horcht! Hört Ihr nicht das Meer?
    John Keats war begeistert von dieser Szene und hat sie in etliche seiner Gedichte einfließen lassen, und man begreift nicht zuletzt daran, warum Dan Simmons so von Keats begeistert ist. Denn das Meer dort draußen ist wie das Meer in uns: ein Meer der Imagination, ein Meer der Geschichten. Geschichten, nach denen wir die Hand ausstrecken, die wir uns auch noch in tausenden von Jahren erzählen werden. Und ab und an entdecken wir eine Geschichte, die sich selbst weitererzählt

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