Die Hyperion-Gesänge
Heidenspaß daran, diesen Anspielungen und Verweisen nachzugehen. Aber das ist nur ein Aspekt des Buches und gar nicht der entscheidende. Denn wenn es der entscheidende wäre, dann würden die »Hyperion-Gesänge« unter dieser Last zusammenbrechen,
dann hätten wir es mit einem blutleeren Konstrukt zu tun, an dem die Akademiker glücklich nagen könnten, an dem das Publikum aber – und vielen Romanen inner- und außerhalb des Genres ergeht es ja so – voller Respekt und Bewunderung vorbeigeht.
Doch so war es nicht: Als »Hyperion« 1989 erschien – der zweite Teil kam in kurzer Folge ein Jahr später heraus –, schlug das Buch in der Science Fiction ein wie eine Bombe, gewann praktisch alle Preise, die das Genre zu vergeben hat, fand weltweit ein Millionenpublikum und zählt seither zu jener Handvoll Science-Fiction-Romane, die man unbedingt gelesen haben sollte. Das hat mehrere Gründe: Mit Dan Simmons hatte sich ein ziemlich raffinierter und visuell ungemein begabter Schriftsteller dem Genre zugewandt, der, aus dem Horror kommend, genau weiß, wie man Spannung erzeugt, der wie Stephen King die Kunst beherrscht, etwas zu erklären, ohne es wirklich zu erklären, und der sich schamlos das Beste aus allen Science-Fiction-Welten zusammenklaut und die Möglichkeiten dieses Genres (und anderer) geradezu zelebriert – bis zu dem Punkt, dass einem das Gefühl beschleicht, er wollte den Science-Fiction-Autoren einfach einmal zeigen, wo der Hammer hängt. Außerdem wartete »Hyperion« nach vielen Jahren des »Inner Space« und des »Cyberpunks« – einer Science Fiction also, die sich mehr mit der menschlichen Psyche und ihren möglichen Modifizierungen befasste als mit dem, was Cordwainer Smith einst das große »Auf-und-hinaus« genannt hat – endlich wieder mit einem galaktischen Panorama auf, mit exotischen Raumschiffen und reichlich planet jumping. Und nicht zuletzt wimmelt es in dem Text nur so von faszinierenden Details und wirklich atemberaubenden technischen Ideen, die, wie sonst oft üblich, nicht zu Tode referiert, sondern nahtlos in die Handlung eingefügt werden (ich habe selten einen Science-Fiction-Roman, zumal eine »Space
Opera«, gelesen, der auf so vielen Seiten so wenig technisch ist). Aber der Hauptgrund, warum das Buch bis heute unzählige Leserinnen und Leser begeistert und als moderner Klassiker des Genres gilt, ist, dass Dan Simmons eine Welt baut, die absolut fremd und fantastisch und zugleich absolut glaubwürdig ist. Eine Welt, in der es eben nicht darum geht, jedes Handlungselement auf irgendeine vertraute gegenwärtige Situation oder Simulation zu beziehen und daraus einen Aha-Effekt zu erzeugen, sondern eine Welt, die für sich ein einziger großer Aha-Effekt ist. Wenn es stimmt, dass der berühmte Satz von Arthur C. Clarke »Jede hinreichend fortschrittliche Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden« den Unterschied zwischen Science Fiction und Fantasy markiert und nicht etwa einebnet, dann setzt Dan Simmons dies in »Die Hyperion-Gesänge« auf kongeniale Weise um: Er baut eine Welt, in der alles Mögliche möglich ist, aber eben nicht alles ; eine Welt, die nicht im Irgendwo schwebt, sondern aus unserer entstanden ist, ja, sich aus unserer geradezu herauskompostiert hat (und es ist ein nicht geringer Teil der Lesefreude, aus dem über den Text verstreuten Informationshäppchen eine Chronologie zu konstruieren); in der die Menschen wie in jeder Epoche unserer tragischen, wunderbaren Geschichte mit dem Werkzeug, das ihnen gerade zur Verfügung steht, die Naturgegebenheiten interpretieren und replizieren und umsortieren; und in der – es sind, wie Pater Duré sagt, »verwirrte und verwirrende Zeiten« – die Menschen sich schließlich die Frage stellen, ob sie noch auf der Höhe ihrer selbst sind und nicht längst mit etwas konfrontiert, das nicht-interpretierbar, nicht-replizierbar, nicht-umsortierbar ist. Etwas, das sie vielleicht selbst irgendwann einmal ins Leben gerufen haben. Oder etwas, das sie irgendwann einmal ins Leben gerufen hat.
In John Keats’ Fragmenten »Hyperion« und »Der Sturz von Hyperion« – an denen Dan Simmons, wie er einmal in einem
Interview bekannte, vor allem anderen das Wort »Hyperion« fasziniert und seine Fantasie in Gang gesetzt hat – kämpfen die alten Götter, die Titanen, mit aller Macht um ihren Platz im Weltgefüge und werden doch sukzessive von den neuen Göttern, den Olympiern, ersetzt. Und obwohl Keats tief in der
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