Die Indoeuropäer: Herkunft, Sprachen, Kulturen
weite Verbreitung vor allem in den Ländern des britischen Kolonialreichs (Ballantyne 2002). Die Essenz des Arier-Mythos als Deutung und Legitimation für die imperial-koloniale Überlegenheit der Europäer in der Welt wurde schließlich um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert schlichtweg als «Axiom» gehandelt (Poliakov 1993), also als Gesetzmäßigkeit, die keiner Begründung bedurfte.
Noch bevor die Nationalsozialisten die Überlegenheit der «arischen Rasse» predigten und gewaltsam durchzusetzen begannen, wurde das Gedenken an das Ariertum in den nordischen Ländern, insbesondere in Schweden, gepflegt. Seit den 1920er Jahren war Skandinavien mit seiner nordgermanischen Population eine wichtige Orientierung für den nationalsozialistischen Arier-Mythos (Lutzhöft 1971), der in der NS-Rassenideologie mit ihren fatalen Abwertungen von Nicht-Ariern gipfelte. Als im Jahre 1934 das «Rassehygienische Institut» gegründet wurde, war dies keine Innovation des Dritten Reichs. Vorbild war eine ähnliche Einrichtung, die bereits 1924 in Schweden ins Leben gerufen worden war. Der nordische Schwerpunkt des Ariertums hatte auch seit 1935 in der Gesellschaft «Deutsches Ahnenerbe – Studiengesellschaft für Geistesurgeschichte» Priorität. Während in den 1930er Jahren die nordischen Länder und Finnland im Brennpunkt des Arier-Mythos standen, verlagerte sich das Hauptaugenmerk der deutschen Arier-Ideologen im Verlauf des Zweiten Weltkriegs allerdings nach Osten, mit Blick auf die indischen Arier als Träger einer Hochkultur.
Hätten sich die Ideologen mit den historischen Wurzeln der Arier, ihrer Kultur und Sprache beschäftigt und die alten Quellen studiert, dann wäre ihnen klargeworden: Weder im Rig-Veda noch in den alten Sanskrit-Schriften werden die Arier als «auserwähltesVolk» hervorgehoben. Der Begriff des Ariers wird in der schriftlichen Überlieferung ursprünglich nicht mit ethnisch-anthropologischen Kriterien assoziiert, sondern ist an sprachlich-kulturelle Verhaltensweisen gebunden (s. Kap. 5). «Wenn eine Person den richtigen Göttern in der rechten Art opferte, wobei er die korrekten Formeln der traditionellen Hymnen und Poesie verwendete, dann war diese Person ein Arier. … Rituale, die mit den richtigen Worten ausgeführt wurden, waren die Quintessenz dessen, was hieß, Arier zu sein» (Anthony 2007: 408f.).
Im deutschen Sprachraum ist der Arier-Begriff bis heute durch die Auswüchse der NS-Zeit belastet. Im angelsächsischen Kulturkreis sowie in anderen Kulturen (so auch in Indien) ist der traditionelle Umgang mit den Ariern als historischer Realität ungebrochen. Dies gilt auch für die Symbolkraft des Hakenkreuzmotivs. Im deutschen Sprachraum absolut tabuisiert, ist das Hakenkreuz wie eh und je sakrales Symbol in hinduistischen und buddhistischen Tempeln, wobei Rechtsdrehung Glück (
svastika
) und Linksdrehung Unglück (
sauvastika
) bedeutet. Als uraltes finnisch-ugrisches Glückssymbol mit Schutzfunktion wird es in Finnland verwendet, etwa auf den Standarten der finnischen Armee, oder auf Todesanzeigen von Kriegsveteranen.
Das von den Rassenfanatikern als arisches Symbol par excellence hochstilisierte Hakenkreuz ist sogar viel älter als alle Kulturen der Indoeuropäer (s. Abb. 1). Es ist nicht von den Ariern in Indien eingeführt worden, sondern gehört zum Symbolschatz der altdravidischen Indus-Zivilisation. Auch in Europa tritt das Hakenkreuz nicht erst in der griechischen Kunst der archaischen Zeit auf, sondern es figuriert als eines der Symbole der alteuropäischen (= vorindoeuropäischen) Donau-Zivilisation, auf Keramik gemalt oder in Tonstempel eingraviert (s. Kap. 4). Sowohl in Indien als auch in Südosteuropa haben die später eingewanderten indoeuropäischen Populationen dieses Kultursymbol von den Alteingesessenen übernommen, in ihre eigene Kultur integriert und dann weiter tradiert.
I Das Hakenkreuz ist nicht indoeuropäischen Ursprungs, weder in Europa noch in Indien. Die ursprüngliche Symbolik des Hakenkreuzes war möglicherweise mit mythopoetischen Vorstellungen über die Umlaufbahn der Sonne und ihre lebensspendende Kraft assoziiert. Bereits in der vor-indoeuropäischen Ikonographie gibt es mehrere Varianten: Rechtsdrehung und Linksdrehung, gerade und schräge Stellung.
a) Alteuropäische Keramik, 5. Jahrtausend v. Chr.
b) Vorgriechische Siegel, Lerna; 3. Jahrtausend v. Chr. (nach Haarmann 1995a: 71)
c) Altindisches (altdravidisches) Siegel,
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