Die innere Freiheit des Alterns
schon erwähnt, einen meiner Neffen stark beschäftigte. Überhaupt beginnen wir nun im Alter gerne, die größeren Zusammenhänge unserer Familien zu überschauen! So sehen wir auch die Eltern und Großeltern eingebettet in deren LebensundZeitgeschichte und finden so zu einem vertieften Verständnis auch ihrer Eigenarten und Eigenwilligkeiten, ihrer Einseitigkeiten vielleicht, an denen wir uns manchmal gerieben haben, die wir aber jetzt, wo wir uns selbst im Alter befinden, mit mehr Verständnis sehen können.
Wenn wir selbst Kinder und Enkel haben, bekommen sie nun oft einen neuen Stellenwert in unserem Leben. So wie zum Beispiel bei einem vielbeschäftigten namhaften Kollegen, dem ich dies gar nicht zugetraut hätte: An einem bestimmten Tag in der Woche war er überhaupt nur über seine Enkel erreichbar.
So wanderte auch mein Vater in seinen hohen Achtzigern an etlichen Tagen der Woche mit seiner jüngsten Enkelin durch den Wald, und oft, wenn sie an umgestürzten Bäumen vorüberkamen, neckte er sie mit der Frage, ob sie sicher sei, dass nicht doch sie selber, auf ihrem schnellen Kinderfahrrad, es gewesen sei, die diese Bäume aus Versehen umgefahren habe? Über ihrem lachenden Protest bahnte sich so eine innige Beziehung zwischen Großvater und Enkelin an, dass sie es war, die ihm in seinen letzten Jahren bei all seinen Bewegungsbeschwerden den treuesten Beistand leistete. Außerdem war sie von Beruf Physiotherapeutin geworden!
Eine meiner Bekannten ermöglichte ihrer Tochter eine anspruchsvolle Berufsausbildung, indem sie deren Neugeborenes in einer entfernten Stadt gleichsam mit aufzog, nicht ohne persönliche Opfer. Sie vermochte sich zu der Zeit auch von ihren eigenen Verpflichtungen im Arztberuf zu lösen, was ohne die neue Aufgabe nicht so leicht möglich gewesen wäre. Es ergäbe ein eigenes Buch, wenn ich erzählen wollte, was Großeltern vielfach auf sich nehmen, um die Kinder alleinstehender Töchter über die Runden zu bringen, auch nach Trennungen oder Scheidungen. Zugleich ist es für viele eine große innere Befriedigung im Alter, nicht nur Hilfe anzunehmen, sondern auch geben zu können.
Nach der Berliner Altersstudie setzen sich bis zu vierzig Prozent der jüngeren Alten für andere ein, innerhalb und außerhalbihrer eigenen Familien, auch für die Begleitung und Betreuung von Kindern, Jugendlichen, Asylanten, Behinderten, Kranken und Sterbenden – nicht zuletzt für die Begleitung noch Älterer unter den Alten. Eine meiner Freundinnen begleitet Sterbende im Hospiz, indem sie sie ganz individuell zum Zeichnen und Malen anleitet, ihnen im Notfall auch den Stift oder Pinsel führt, ganz wie sie es sich vorstellen. Sie hat entdeckt, wie sehr dieses Malen den Menschen in ihren letzten Lebenswochen helfen kann, sich noch einmal auszudrücken, das Wesentliche ihres Lebens noch einmal zu thematisieren und zu besprechen.
Dass die Alten, die sich noch engagieren, damit auch ihrer eigenen Isolierung im Alter entgegentreten und etwas entgegensetzen, liegt auf der Hand. So kann solcher Einsatz auch zum kreativen Umgang mit dem eigenen Alleinstehen im Alter beitragen, zum Beispiel nach dem Verlust des Lebenspartners oder der Lebenspartnerin. Ich selbst zum Beispiel verdanke mein besonders inniges Verhältnis zur Großmutter dem Umstand, dass ich unmittelbar nach dem frühen Tod ihres Mannes geboren wurde.
Das Engagement der Alten für die Gesellschaft beschränkt sich übrigens nach der Berliner Altersstudie keineswegs nur auf soziale Dienste, es bezieht auch die Mitwirkung an Stadtteil- und Wohnbezirksinitiativen mit ein, die sich, zum Beispiel im Rahmen der Agenda 21, auch um sinnvolle Altbausanierungen, Renaturierungen zubetonierter Flüsse und Wege, menschengerechte Umweltgestaltung sowie um interkulturelle Projekte kümmern sowie natürlich auch um alternative Wohnprojekte für alte Menschen. Allenfalls zehn Prozent der Menschen im frühen Alter leben in Altenheimen. Was alte Menschen heute suchen, sind, neben der möglichst langen Selbstständigkeit in der eigenen Wohnung, offene Wohnsiedlungen mit Werkstätten und Gärten, in denen man sich auf normale Weise betätigen kann und wo sich natürliche Kontakte ergeben, auch mit Menschen aus anderen Generationen. In enger Nachbarschaft zu einem Kinderdorf zum Beispielfände sich ein weites Betätigungsfeld großmütterlicher und großväterlicher Neigungen.
Auch in einem normalen Mietshaus findet man Wahlgroßmütter, die von den dort wohnenden
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