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Die innere Freiheit des Alterns

Die innere Freiheit des Alterns

Titel: Die innere Freiheit des Alterns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Riedel
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jungen Jahren machte, ging mir nie mehr aus dem Sinn.
    Was es heißt, das Leben auszuschöpfen, erfuhr ich auch von einer meiner Kolleginnen, die von einer schweren Krebserkrankung heimgesucht wurde. Sie glaubte, nicht mehr lange Zeit zum Leben zu haben, und sie, die immer kontrolliert, zurückhaltend, sparsam und arbeitsam gewesen war, beschloss, ihre Ersparnisse für das Alter nun sofort einzusetzen, notfalls aufzubrauchen, um sich noch ein Stück freies Leben zu erlauben, das sie nie zuvor gewagt hatte. Dazu gehörte, die eine oder andere kostspielige Reise zu machen, nicht ohne Luxus, den sie auch ihrer labilen gesundheitlichen Verfassung wegen dringend brauchte. So unternahm sie Kreuzfahrten zur Mitternachtssonne, nach Norden, oder nach Osten, zum Fernen Osten hin, auf die andere Seite der Erde – in der Tat, sie brauchte alles für ihr Alter Ersparte auf. Dabei ging es ihr bald so spürbar besser, lebte sie so sehr auf, dass sich nun bei der Vorstellung, doch noch länger zu leben, fast eine Angst einstellte. Was nun, wenn ihr vielleicht noch viele Jahre vergönnt wären, für die sie ihr Erspartes gebraucht hätte? Als sie doch wenige Jahre später verstarb, war sie mit dem Leben versöhnt. Sie wollte mit ihren Reisen im eigenen Leben noch einmal vorkommen – und die Welt erst noch einmal sehen, um sie schließlich verlassen zu können.

In Beziehung treten und alleinstehen im Alter
    Dieses »Wann, wenn nicht jetzt?« bekommt natürlich eine besondere Bedeutung, einen besonderen Akzent, wenn es gilt, neue Beziehungen im Alter einzugehen oder auch bisher unbewältigte Beziehungsprobleme noch einmal aufzugreifen, um sie eventuell einer Lösung zuzuführen, was für eine geklärte Lebensgeschichte im Jetzt sehr wesentlich ist.
    So träumte kürzlich einer meiner Analysanden von einem Studienfreund, der ihm sehr wichtig gewesen war und ihn seit Berufsbeginn auf weiten Strecken seines Lebens, sogar im Ausland, begleitet hatte. Auch die Ehepartnerin jenes Analysanden hatte sich damals mit dem anregenden Kollegen ihres Mannes angefreundet. Dann war es zu einem bitteren Zwist im Zusammenhang mit einer beruflichen Rivalität gekommen, und die Wege der beiden hatten sich vor Jahrzehnten getrennt. Jetzt, so viele Jahre später, träumt der Analysand von jenem Freund. Sehnsucht nach jener schönen Gemeinsamkeit mit ihm wird in dem Traum wieder wach. Auch seine Frau, der er den Traum erzählt, denkt gleich mit einer gewissen Wehmut an jene anregende Zeit im Ausland zurück, in der sie beide oft mit jenem Freund zusammen waren. Sie stellt die Frage, die sich nicht übergehen lässt: Sollte der Mann, der so träumt, sich nicht aufmachen und seinen Freund ausfindig machen? Sollte er jenes weit zurückliegende Konkurrenzproblem nicht mit jenem Freund besprechen und vielleicht auflösen – oder es vielmehr nach so langer Zeit einfach loslassen und gut sein lassen können? Wäre der Wert dieser Freundschaft für seine Lebensgeschichte nicht viel höher einzuschätzen als jedes Rechtbehalten im Blick auf jenen zurückliegenden Konflikt?
    Noch zögert mein Analysand, den Freund anzurufen, es ist ihm peinlich, ihn aufzustören nach so langem Schweigen, auch hat er noch Hemmungen, seine Trauer über den Verlust und seine Sehnsucht ihm gegenüber offen einzugestehen. Doch eines kann er nach diesem Traum nicht mehr hinausschieben: sich mit diesem Freund und was er für sein Leben bedeutete, innerlich auseinanderzusetzen, den Wert dieser Freundschaft neu zu würdigen und eine innere Aussöhnung mit jenem alten Konflikt zumindest zu bedenken und zu versuchen. Und dies um seiner selbst willen. Die Aussöhnung mit dem Freund kann dann folgen oder kann auch warten – sollte andererseits vielleicht nicht ewig warten –, doch kommt es für den Träumer vor allem darauf an, den Wert dieser Freundschaft für seine Lebensgeschichte innerlich wieder zu würdigen und anzuerkennen.
    So steht für manche und manchen von uns eine Aussöhnung mit Freunden, vor allem aber eine Aussöhnung mit Geschwistern noch an, vielleicht auch mit Kindern, die längst ausgezogen sind, oder gar mit den inzwischen uralten oder schon verstorbenen Eltern. Innerlich ist eine solche Aussöhnung immer möglich und an der Zeit, denn sie befreit uns in einer weiteren Hinsicht zum Jetzt, in dem die Beziehungen fortbestehen und vielleicht lebenswichtig werden können. Denn im Alter zählen Beziehungen doppelt.
    Es ist ein erfreuliches Ergebnis der schon erwähnten

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