Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Insel der besonderen Kinder

Die Insel der besonderen Kinder

Titel: Die Insel der besonderen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ransom Riggs
Vom Netzwerk:
hatte mein Dad den Schlüssel in Verwahrung genommen.
    Ich wiederholte die Lüge und behauptete, nicht zu wissen, wo der Schlüssel sei. Während Großvater suchend durch das Haus stampfte, ging das Türenknallen und Fluchen weiter.
    »Also gut!«, sagte er schließlich. »Soll dein Vater diesen verdammten Schlüssel doch behalten, wenn er ihm so wichtig ist. Und meine Leiche kann er direkt dazu haben!«
    Ich beendete das Gespräch so höflich wie möglich und rief anschließend meinen Vater an.
    »Grandpa dreht durch«, erzählte ich ihm.
    »Hat er seine Pillen genommen?«
    »Wollte er mir nicht verraten. Aber es klang nicht danach.«
    Ich hörte Dad seufzen. »Könntest du bei ihm vorbeifahren und nachsehen, ob alles in Ordnung ist? Ich kann jetzt nicht von der Arbeit weg.« Dad arbeitete stundenweise als Freiwilliger für das Vogelrettungszentrum, wo er sich um verletzte Schmuckreiher und genesende Pelikane kümmerte, die Angelhaken verschluckt hatten. Er war Hobby-Ornithologe und Möchtegern-Autor von Naturkundebüchern. Als Beweis hortete er einen Stapel halbfertiger Manuskripte.
    Beides Jobs, die man sich nur dann leisten kann, wenn man zufällig mit einer Frau verheiratet ist, deren Familie 115 Drugstores gehören.
    Mein Job war natürlich auch ein Witz, denn ich konnte alles stehen und liegen lassen, wann immer mir danach war. Ich sagte Dad, dass ich hinfahren würde.
    »Danke, Jake. Ich verspreche dir, dass wir bald eine Lösung für das Problem mit Grandpa finden, okay?«
    Das Problem mit Grandpa.
»Du meinst, ihn in ein Altersheim zu stecken«, antwortete ich mit eisiger Stimme. »Ihn zum Problem von jemand anderem machen.«
    »Mom und ich haben uns noch nicht entschieden.«
    »Natürlich habt ihr das.«
    »Jacob –«
    »Ich werde mit ihm fertig, Dad. Wirklich.«
    »Noch, vielleicht. Aber es wird schlimmer werden.«
    »Na und?«
    Ich legte auf und rief meinen Freund Ricky an, damit er mich mit dem Wagen abholte. Zehn Minuten später hörte ich die unverkennbare Hupe seines alten Crown Victoria auf dem Parkplatz. Beim Rausgehen überbrachte ich Shelley die schlechte Nachricht, dass ihr Stay-Tite-Turm bis morgen warten müsse.
    »Familiärer Notfall«, sagte ich.
    »Natürlich«, antwortete sie.
    Ich trat hinaus in den schwülheißen Nachmittag. Ricky saß rauchend auf der Motorhaube seines verbeulten Wagens. Seine schlammverkrusteten Stiefel, die Art, wie er den Rauch von den Lippen hochsteigen ließ und wie seine grünen Haare im Licht der untergehenden Sonne schimmerten – insgesamt sah er aus wie eine Mischung aus James Dean, Punk und Hinterwäldler. Ricky war das Produkt einer bizarren Kreuzung von Subkulturen, wie es sie nur in Südflorida gibt.
    Als er mich sah, sprang er von der Haube.
    »Bist du endlich gefeuert?«, rief er quer über den Parkplatz.
    »Psst!«, zischte ich und lief zu ihm. »Die wissen nichts von meinem Plan!«
    Ricky boxte mich gegen die Schulter. Das war ermutigend gemeint, würde jedoch einen mächtigen blauen Fleck geben. »Keine Sorge, Special Ed. Es gibt immer ein Morgen.«
    Er nannte mich Special Ed, weil ich in unserer Schule an ein paar Kursen für überdurchschnittlich Begabte teilnahm, die Bestandteil unseres Special-Education-Lehrplans waren. Er zog mich unablässig damit auf. Aber so war unsere Freundschaft: Wir ärgerten uns gegenseitig und hielten doch zusammen. Die Kumpanei bestand aus einem inoffiziellen Gehirn-gegen-Muskeln-Abkommen. Ihm verhalf es dazu, nicht in Englisch durchzufallen, und mir, nicht von jenen kraftstrotzenden Soziopathen umgebracht zu werden, die sich in den Fluren unserer Schule herumtrieben. Dass er meinen Eltern nicht gefiel, war lediglich das Sahnehäubchen. Ricky war mein bester Freund – was besser klang, als zuzugeben, dass er mein einziger Freund war.
    Ricky trat gegen die Beifahrertür des Crown Vic, weil man sie so öffnete, und ich stieg ein. Der Vic war ein museumsreifes Stück Volkskunst. Ricky hatte ihn auf dem städtischen Schrottplatz für ein Glas voller Vierteldollarstücke gekauft – das behauptete er zumindest. Der Wagen hatte eine Vergangenheit, deren Gestank nicht einmal die zahlreichen Lufterfrischer mit Tannenduft überdecken konnten, die am Rückspiegel hingen. Die Sitze waren mit Isolierband beklebt, damit sich einem die Federn der Polsterung nicht in den Hintern bohrten. Am besten war jedoch die Karosserie, eine verrostete Mondlandschaft voller Löcher und Beulen. Sie war das Ergebnis von Rickys Plan, Benzingeld

Weitere Kostenlose Bücher