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Die Insel der besonderen Kinder

Die Insel der besonderen Kinder

Titel: Die Insel der besonderen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ransom Riggs
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auf seine Geheimnisse. Ich schämte mich dafür, neidisch auf sein Leben gewesen zu sein – wenn ich bedachte, welchen Preis er dafür zahlen musste. Stattdessen bemühte ich mich, dankbar zu sein für das sichere und überhaupt nicht außergewöhnliche Leben, das ich mir durch nichts verdient hatte.
    Aber dann, ein paar Jahre später, als ich fünfzehn war, passierte etwas Schreckliches. Von da an gab es nur noch jenes Vorher und Nachher.

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    1. Kapitel
    D en letzten Nachmittag des Lebens im Vorher verbrachte ich mit einem Modell vom Empire State Building, das ich aus Kartons für Erwachsenenwindeln zusammensetzte. Das Gebilde im Maßstab 1 : 10 000 war eine Schönheit. Es hatte eine Sockelspannweite von anderthalb Metern und überragte das Kosmetikregal. Es bestand aus »Maxi« für das Fundament, »Diskret« für die Aussichtsplattform und sorgfältig gestapelten Probepackungen für die ikonenhafte Turmspitze. Es war nahezu perfekt, bis auf ein entscheidendes Detail.
    »Du hast Neverleak genommen«, sagte Shelley und betrachtete mein Werk mit skeptischem Stirnrunzeln. »Im Angebot ist aber Stay-Tite.« Shelley war die Filialleiterin, und ihre hängenden Schultern und die finstere Miene waren ebenso Bestandteil ihrer Uniform wie das blaue Poloshirt, das wir alle tragen mussten.
    »Ich dachte, Sie hätten Neverleak gesagt«, erwiderte ich, weil sie das auch getan hatte.
    »Stay-Tite«, beharrte sie und schüttelte bedauernd den Kopf, als wäre mein Turm ein verkrüppeltes Rennpferd und als hätte sie die Pistole mit dem Perlmuttgriff in der Hand, um ihm den Gnadenschuss zu verpassen. Es folgte ein kurzes, unbehagliches Schweigen, während dessen sie unablässig den Kopf schüttelte und zwischen mir und dem Turm hin- und herblickte. Ich sah sie verständnislos an. Was wollte sie mir mit ihrer passiv-aggressiven Art sagen?
    »Ach so«, sagte ich schließlich. »Ich soll ihn neu bauen?«
    »Ich habe nur gesagt, dass du Neverleak genommen hast«, wiederholte sie.
    »Kein Problem. Wird sofort erledigt.« Mit der Spitze meines vorschriftsmäßigen schwarzen Sneakers schob ich einen Karton aus dem Fundament des Turms. Sofort stürzte das wunderbare Bauwerk in sich zusammen, eine Flut von Windelkartons polterte zu Boden und vor die Füße überraschter Kunden. Ein Karton schaffte es bis zu der automatischen Eingangstür. Die öffnete sich und ließ einen Schwall Augusthitze herein.
    Shelleys Gesicht nahm die Farbe von reifen Granatäpfeln an. Sie hätte mich sicher gern auf der Stelle gefeuert, aber so viel Glück sollte mir nicht zuteilwerden. Den ganzen Sommer über hatte ich schon versucht, bei Smart Aid rausgeworfen zu werden. Aber das hatte sich als schlichtweg unmöglich erwiesen. Ich kam mit den fadenscheinigsten Ausreden ständig zu spät, gab zu wenig Wechselgeld heraus, räumte Ware absichtlich in die falschen Regale, stellte Lotionen zu Abführmitteln und Verhütungsmittel zu Babyshampoo. Selten hatte ich so hart an etwas gearbeitet, aber wie inkompetent ich mich auch anstellte, Shelley strich mich nicht von der Gehaltsliste.
    Lassen Sie mich meine Aussage präzisieren: Es war nahezu unmöglich, dass
ich
bei Smart Aid gefeuert wurde. Jeder andere Angestellte wäre wegen viel kleinerer Vergehen längst vor die Tür gesetzt worden. Dies war meine erste Lektion in Sachen Vetternwirtschaft. In Englewood, dem verschlafenen Küstenstädtchen, in dem ich lebe, gibt es drei Smart Aids, in Sarasota County 27 und in ganz Florida 115 . Sie breiten sich wie unheilbarer Ausschlag aus. Der Grund, warum ich nicht gefeuert werden konnte, lag darin, dass meinen Onkeln jeder einzelne dieser Läden gehörte. Und der Grund, warum ich nicht kündigen konnte, war, dass es bei uns heilige Familientradition war, seinen ersten Job bei Smart Aid anzutreten. Mein Feldzug der Selbstsabotage hatte mir lediglich eine aussichtslose Fehde mit Shelley eingebracht sowie den tiefen und anhaltenden Groll meiner Kollegen. Aber die – lassen Sie uns den Tatsachen ins Auge sehen – hätten mich sowieso nicht ausstehen können. Denn gleichgültig, wie viele Verkaufsstände ich umrannte oder wie vielen Kunden ich zu wenig Wechselgeld herausgab, eines Tages würde ich einen ansehnlichen Batzen des Unternehmens erben – im Gegensatz zu meinen Kollegen.
    Shelley watete durch die Windeln, bohrte mir den Zeigefinger in die Brust und war offenbar im Begriff, etwas Unfreundliches zu sagen, als sie von der Lautsprecheransage daran gehindert

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