Die Insel der roten Mangroven
wirklich … Camelot?«
Die Reiter hatten eben einen kleinen Hügel erklommen und schauten hinunter auf ihr Ziel. Nicht nur Doug stockte der Atem. Aus dem Nebel heraus ragte ein Fels, auf dem ein schlossähnliches Herrenhaus thronte. Es war etwas kleiner als das der Dufresnes, jedoch im gleichen Stil errichtet und schien jetzt tatsächlich über dem Nebel zu schweben, der die gesamte Umgebung einhüllte. Die Sonne ließ die weißen Mauern aufleuchten und malte unwirkliche Schatten zu Füßen der Türmchen.
Deirdre gab einen Ton des Staunens von sich. »Jetzt weiß ich endlich, warum sie es Roche aux Brumes genannt haben«, murmelte sie fast andächtig.
Bis zum Tod der Courbains war das Anwesen nur als die Courbain-Plantage bekannt gewesen. Erst Gérôme Dufresne hatte ihm nach seiner Heirat mit Yvette den poetischen Namen gegeben: Roche aux Brumes – Fels im Nebel.
»Ja, ich hab das Anwesen auch erst zwei- oder dreimal so gesehen«, sagte Victor, der die Euphorie der Besucher nicht teilte. »Der Anblick ist spektakulär, ich weiß, in den Tälern wird sich der Nebel allerdings noch stundenlang halten. Und da liegen die Sklavenquartiere. Diener in diesem Märchenschloss möchte ich nicht sein …«
»Wir sind jetzt ja erst einmal Besucher«, brach Doug den Zauber, in dem Deirdre und Nora allen Bedenken zum Trotz immer noch gefangen schienen. »Und ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich käme ganz gern ins Trockene.«
Yvette und Gérôme Dufresne begrüßten ihre Gäste mit Fruchtsaft, Kaffee und einem reichhaltigen Frühstück. Sie waren in der Nacht noch nach Roche aux Brumes zurückgekehrt. Seit ihrer Schwangerschaft konnte Yvette langen Abendgesellschaften nichts mehr abgewinnen. Überhaupt schien sie sich nicht mehr allzu gern zu bewegen. Sie zeigte auch keine Lust, sich im Laufe des Tages weiteren Unternehmungen anzuschließen. Dabei hatten die Gäste viele Pläne.
Victor drängte nach dem Frühstück zu einem Besuch in den Sklavenquartieren. Gérôme war nicht begeistert, stimmte jedoch zu. Wie bei seinem Vater zeigte sich auch bei ihm der Zwiespalt zwischen dem Wunsch, mit seinen Schwarzen so wenig wie möglich zu tun zu haben, andererseits aber ihre Arbeitskraft solange es ging zu erhalten.
Deirdre wollte aufstehen, um ihren Mann zu begleiten, Yvette hielt sie jedoch zurück. »Du willst doch nicht schon wieder weg, Deirdre? Dabei hatten wir gestern keine Zeit, uns zu unterhalten. Ich dachte, du erzählst ein bisschen von Cap-Français. Was so los ist in der Stadt, was der Gouverneur macht …«
Deirdre ließ sich wieder in ihren Korbsessel fallen. »Was soll der Gouverneur schon Interessantes machen?«, fragte sie, sichtlich ungehalten. »Er regiert und sucht nach Rechtfertigungen, warum er Macandal nicht fasst. Yvette, ich sollte wirklich mit Victor reiten. Er braucht jemanden, der ihm hilft.«
Nora erkannte, dass ihre Tochter einen Ausweg suchte, ihrer augenscheinlich langweiligen Schwägerin zu entkommen, sie fand dennoch, dass sie aus Höflichkeit einen Kompromiss suchen sollte. Yvette Dufresne sah hier draußen sicher wochenlang keine gleichaltrige weiße Frau. Sie hatte sich bestimmt ehrlich auf Deirdres Gesellschaft gefreut, auch wenn die beiden wenig gemeinsam hatten.
»Lass nur, Deirdre«, meinte sie freundlich. »Ich helfe Victor, bleib noch ein bisschen bei deiner Freundin. Ihr habt euch doch sicher Dinge zu erzählen, die Männer und Eltern nicht mithören müssen, oder?«
Yvettes Strahlen verriet Nora, dass sie darauf brannte, sich über ihre Ehe und die Schwangerschaft auszutauschen, während Deirdre ihrer Mutter einen ziemlich bösen Blick zuwarf. Sträuben konnte sie sich jetzt nicht mehr, sie war zum Gespräch mit ihrer Schwägerin verdammt. Nora hoffte, dass sie einige der Ratschläge, die Victor ihr für die Sklavenfrauen mit Schwangerschaftsproblemen erteilt hatte, an Yvette weitergeben würde.
Gérôme hatte Doug eigentlich die Zuckerrohrpflanzung zeigen wollen, erklärte nun jedoch überraschend, seinen Bruder zunächst zur Visite im Sklavenquartier begleiten zu wollen.
»Ich sollte mich da mal sehen lassen, obwohl Oublier natürlich alles im Griff hat. Der beste Aufseher übrigens, den irgendeiner von uns je hatte, Monsieur Fortnam. Arbeitet absolut selbstständig, wird auch mit den schwierigsten Fällen fertig. Er sucht die Kerle persönlich aus, kauft unschlagbar billig ein und zähmt sie zuverlässig. Scheint ihm Spaß zu machen … Na ja, jedem das
Weitere Kostenlose Bücher