Die Insel der roten Mangroven
weiterverarbeitet werden. Die meisten Pflanzer terrierten sie allerdings noch mit Tonerde und verkauften dann gleich weiße Zuckerkristalle. Außerdem hatte nahezu jede Zuckerrohrplantage ihre Rumdestillerie. Der Zuckerrohrsirup wollte schließlich ebenfalls verarbeitet werden. Um die Rohstoffe zwischen den diversen Gebäuden hin und herzutransportieren, wurden natürlich Gespanne gebraucht, also kamen Ställe und Remisen dazu. Gérôme hatte für die Bauten etwa einen Hektar Land verplant, sämtliche männlichen Sklaven der Plantage waren hier beschäftigt, während die Frauen Kaffee pflückten.
Doug hörte Oubliers Befehlsstimme über das gesamte Gelände dröhnen, andere Aufseher schwangen ihre Peitschen. Die Arbeiter schleppten schweigend Holz oder hämmerten es zu Schuppen zusammen. Inzwischen war es Mittag, aber der Dunst lag immer noch über der Plantage, und es wehte kein Lüftchen. Dafür floss ein Bach quer über das Gelände – zweifellos täglich genährt durch neue Regenfälle … Gérôme erklärte nun lang und breit, warum er sich für eine Wassermühle zum Betreiben der Pressen statt für eine Windmühle entschieden hatte. Doug war das klar, er lauschte seinem Gastgeber nur mit halbem Ohr. Eher konzentrierte er sich auf den Destillierschuppen, der neben der Wassermühle entstand – und blickte unversehens in das Gesicht eines der Sklaven, die geschickt dicke Stämme zu einem stabilen Blockhaus zusammenfügten. Wie seine Frau eine Stunde zuvor fühlte auch er sich wie vom Blitz getroffen. Diese hohe Stirn, die hellen Augen, das kräftige Kinn und die breite Nase – das Gesicht insgesamt vielleicht etwas schmaler, als er es in Erinnerung hatte, aber sonst … die Muskeln, die geschmeidigen Bewegungen …
»Akwasi?«, flüsterte Doug.
Natürlich war ihm der Schwarze nicht nahe genug, es zu hören, er hatte den Blick auch schon wieder abgewandt. Ohne Anzeichen eines Erkennens. Doug fühlte sich schwindlig. Konnte es an dieser drückenden Schwüle liegen? Neigte er zu Wahnvorstellungen?
»Wie bitte?«, fragte Gérôme höflich. Auch er hatte nicht verstanden.
Doug nahm sich zusammen. »Nichts, Verzeihung, Monsieur Dufresne. Ich … war etwas abgelenkt, ich meinte … Sagen Sie, dieser Schwarze da … er kommt mir bekannt vor. Ist er hier geboren, oder haben Sie ihn dazugekauft?«
Gérôme warf einen Blick auf den Mann. »Der? Der ist nicht von hier. Aber auch nicht aus Jamaika, oder woher Sie ihn sonst kennen könnten. Hat eine ganz interessante Geschichte. Einer von Oubliers cleveren Käufen. Eingehandelt mit einer ganzen Gruppe, in Ketten, Sie wissen schon.« Er lachte. »Und zum Markt kam er direkt von einem Piratenschiff! Ja, gucken Sie nicht so, das gibt’s noch! Die Weißen haben sie gehenkt, die Schwarzen verkauft. Zu komisch, nicht wahr?«
Doug musste an Bonnie denken. Sie war ebenfalls von einem solchen Schiff gekommen. Ob das ein Zufall war?
»Wie … heißt er denn?«, erkundigte er sich.
Gérôme schürzte die Lippen. »Hm … warten Sie mal … der hatte so einen römischen Namen … Augustus. Oder Achill …«
Doug verzichtete darauf, Victors Bruder darauf hinzuweisen, dass Achill griechisch war. Aber jedenfalls war es nicht Jefe … Er wusste nicht, ob es ihn beruhigte.
Noch bevor sich die Fortnams über ihre wunderlichen Erlebnisse austauschen konnten, fand am Nachmittag dieses Tages eine weitere Begegnung statt.
Nach dem gähnend langweiligen Vormittag mit Yvette Dufresne war Deirdre entschlossen, zumindest den Nachmittag auf ihrem Pferd zu verbringen. Die Sonne hatte sich endlich halbwegs gegen die Dunstschwaden durchgesetzt. Sie tauchte Roche aux Brumes in ein gelbliches Licht.
»Was ist, Mommy, reiten wir unser Rennen?«, wandte sich Deirdre an ihre Mutter. »Hier gibt es breite Wege, und teilweise ist die Gegend ganz flach. Trocken sollte es inzwischen auch sein – ideale Bedingungen für Paso gegen Araber.«
Nora lachte. Sie hatte eben mit ihrer Tochter und Yvette Tee getrunken und verstand, dass es Deirdre hinausdrängte. Am Abend stand wieder ein Dinner an, auch Gérôme hatte Nachbarn geladen, Zuckerrohrpflanzer. Nora ahnte, dass es erneutlangweilig werden würde – für ihre Tochter und auch für sie. Allenfalls Doug würde sich stundenlang angeregt über Zuckerrohr unterhalten können. Und sich hinterher darüber aufregen, dass die anderen versucht hatten, ihm diverse rechtliche Informationen zum Handel mit dem Mutterland kostenlos aus der
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