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Die Insel des Dr. Moreau

Die Insel des Dr. Moreau

Titel: Die Insel des Dr. Moreau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. G. Wells
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lauschten, aber wir hörten nichts mehr und wanderten weiter, und bald vergaßen wir den Zwischenfall. Montgomery machte mich auf einige kleine, rosige Tiere mit langen Hinterbeinen aufmerksam, die durch das Buschwerk sprangen. Er sagte mir, das seien von Moreau erdachte Geschöpfe, die er aus der Nachkommenschaft des Tiervolks gemacht habe. Er hatte gemeint, sie würden als Fleischnahrung dienen können, aber die Angewohnheit der Kaninchen, ihre Jungen zu verschlingen, war hier durchgebrochen und hatte diese Absicht vereitelt. Mir waren schon während meiner Mondscheinflucht vor dem Leopardenmann und einmal auch am Tage vorher, als mich Moreau verfolgte, einige von diesen Geschöpfen begegnet. Zufällig sprang eines, das uns ausweichen wollte, in das Wurzelloch eines vom Winde gefällten Baumes. Ehe es wieder herausklettern konnte, gelang es uns, es zu fangen. Es fauchte wie eine Katze, kratzte, stieß kräftig mit den Hinterbeinen und versuchte zu beißen, aber seine Zähne waren zu schwach, es langte nur zu einem schmerzlosen Kneifen. Mir schien es ein ziemlich hübsches kleines Geschöpf zu sein, und da Montgomery behauptete, es zerstöre nie den Rasen durch Wühlen und sei sehr sauber, konnte ich es mir gut als Ersatz für das gewöhnliche Kaninchen in herrschaftlichen Parks vorstellen.
    Wir sahen auch unterwegs noch einen Baumstumpf, dessen Rinde in langen Streifen abgerissen und der stark zersplittert war. Darauf machte Montgomery mich aufmerksam. »Nicht von Bäumen Rinde reißen; das ist das Gesetz«, sagte er. »Daraus machen sich einige viel!« fügte er ironisch hinzu. Darauf, glaube ich, trafen wir den Satyr und den Affenmenschen. Der Satyr war wohl einer Erinnerung Moreaus an das klassische Altertum entsprungen. Das Gesicht zeigte einen schafsartigen Ausdruck, seine Stimme war ein scharfes Blöken, seine unteren Extremitäten sahen bockbeinig aus. Er nagte an der Schote einer Hülsenfrucht, als er an uns vorbeikam. Beide grüßten Montgomery.
    »Heil«, sagten sie, »dem anderen mit der Peitsche!«
    »Jetzt ist ein dritter mit einer Peitsche da«, sagte Montgomery. »Also nehmt euch besser in acht!«
    »Ist er nicht gemacht?« sagte der Affenmensch. »Er sagte - er sagte, er sei gemacht.«
    Der Satyrmensch sah mich neugierig an. »Der dritte mit der Peitsche, der, der weinend ins Meer läuft, hat ein dünnes weißes Gesicht.«
    »Er hat eine dünne lange Peitsche«, sagte Montgomery.
    »Gestern blutete und weinte er«, erklärte der Satyr. »Du weinst und blutest nie. Der Herr weint und blutet nie.«
    »Elender Bettler!« rief Montgomery. »Wenn du nicht aufpaßt, wirst du weinen und bluten.«
    »Er hat fünf Finger; er ist ein Fünfmensch wie ich«, sagte der Affenmensch.
    »Kommen Sie mit, Prendick«, meinte Montgomery und nahm meinen Arm; ich ging mit ihm weiter.
    Der Satyr und der Affenmensch standen da und beobachteten uns und machten weitere Bemerkungen.
    »Er sagt nichts«, stellte der Satyr fest. »Menschen haben Stimmen.«
    »Gestern fragte er mich nach etwas zum Essen«, sagte der Affenmensch. »Er wußte nichts.« Dann sprachen sie unhörbar leise, und ich hörte den Satyr lachen.
    Auf unserem Rückweg sahen wir das tote Kaninchen. Der rote Leib des armen kleinen Tieres war in Stücke zerrissen, viele von den Rippen entblößt, und die Wirbelsäule ohne Zweifel benagt.
    Da stand Montgomery still. »Guter Gott!« sagte er, bückte sich und hob einige der zermalmten Halswirbel auf, um sie genauer zu prüfen. »Guter Gott!« wiederholte er. »Was kann das heißen?«
    »Einer Ihrer Fleischfresser hat sich seiner früheren Gewohnheiten erinnert«, meinte ich nach einer Pause. »Dieser Halswirbel ist durchgebissen.«
    Er stand da, mit weißem Gesicht, verzerrten Lippen und großen Augen. »Das gefällt mir nicht«, sagte er langsam.
    »Ich habe etwas Ähnliches gesehen«, sagte ich, »am ersten Tag, als ich angekommen war.«
    »Zum Teufel! Was?«
    »Ein Kaninchen, dem der Kopf abgerissen war.«
    »Am Tag, als sie ankamen?«
    »Am Tag, als ich ankam. Im Gebüsch hinter der Ummauerung, als ich abends rausging. Der Kopf war vollständig abgerissen.«
    Er pfiff lange und leise.
    »Und ich habe sogar eine Idee, welches von Ihren Tieren das getan hatte. Es ist nur ein Verdacht, wissen Sie. Ehe ich das Kaninchen fand, sah ich eines Ihrer Ungeheuer aus dem Bache trinken.«
    »Schlürfen?«
    »Ja.«
    »Nicht das Wasser schlürfen; das ist das Gesetz. Die Bestien kümmern sich viel ums Gesetz, wie - wenn

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