Die Insel des Dr. Moreau
ganz ruhig da, und ich hielt mich dicht neben ihnen. Der erste, der bei uns ankam, war der Satyr, seltsam unreal, obgleich er einen Schatten warf und mit den Hufen den Staub aufwirbelte; hinter ihm kroch ein monströser Lümmel aus dem Gebüsch, ein Mischwesen aus Pferd und Rhinozeros, das einen Strohhalm kaute; dann erschienen die Schweinefrau und zwei Wolfsfrauen; dann die Füchsin-Bärin-Hexe mit den roten Augen im spitzen, roten Gesicht und dann weitere - alle liefen eilig. Wenn sie herankamen, verbeugten sie sich demütig vor Moreau und begannen, ohne Rücksicht aufeinander, Fragmente aus der zweiten Hälfte der Gesetzeslitanei zu singen. » Sein ist die Hand, die verwundet, Sein ist die Hand, die heilt«, und so weiter.
Sobald sie bis auf eine bestimmte Entfernung - vielleicht dreißig Meter - herangekommen waren, machten sie halt, beugten sich auf Knie und Ellbogen und streuten sich den heißen Staub über die Köpfe. Man stelle sich die Szene vor, wenn man kann! Wir drei blaugekleideten Männer standen mit unserem ungestalten, schwarzgesichtigen Begleiter auf einer weiten Fläche sonnenbeleuchteten, gelben Staubes unter blendend blauem Himmel, und um uns dieser Kreis kauernder und gestikulierender Monstrositäten, einige fast menschlich, einige wie Krüppel, einige so seltsam verrenkt, daß sie Gestalten aus unseren wildesten Träumen glichen. Und dahinter auf einer Seite das Schilf, auf der andern ein dichter Wirrwarr von Palmen, die uns von der Schlucht mit den Hütten trennten, und im Norden der dunstige Horizont des Großen Ozeans.
»Zweiundsechzig, dreiundsechzig«, zählte Moreau. »Es fehlen noch vier.«
»Ich sehe den Leopardenmenschen nicht«, sagte ich.
Darauf stieß Moreau noch einmal in das große Horn, und bei dem Schall wanden sich alle Tiermenschen am Boden. Da kam aus dem Rohrdickicht, dicht gegen den Boden gedrückt und bemüht, hinter Moreaus Rücken in den Kreis seiner sich in den Staub werfenden Genossen zu gelangen, der Leopardenmensch geschlichen. Ich sah, daß seine Stirn eine Beule trug. Der letzte vom Tiervolk, der eintraf, war der kleine Affenmensch. Die bereits anwesenden Tiere, denen noch heiß war vom Kriechen, schossen giftige Blicke gegen ihn.
»Aufhören«, sagte Moreau mit seiner festen, lauten Stimme, und die Tiermenschen setzten sich auf ihre Hintern und ruhten von ihrer Anbetung aus.
»Wo ist der Sprecher des Gesetzes?« fragte Moreau, und das haarige graue Ungeheuer beugte das Gesicht in den Staub.
»Sage die Worte«, befahl Moreau, und alsbald begann die ganze kniende Versammlung sich hin und her zu wiegen, den Schwefel mit den Händen aufzuwühlen, erst mit der Rechten, dann mit der Linken, und ihre seltsame Litanei noch einmal zu singen.
Als sie sagten: »Weder Fleisch noch Fisch essen; das ist das Gesetz«, hielt Moreau seine dünne, weiße Hand hoch. »Halt!« rief er, und eine absolute Stille senkte sich über alle.
Ich glaube, alle wußten und fürchteten, was nun kam. Ich blickte rings auf ihre seltsamen Gesichter. Als ich sah, wie sie sich wanden, und die verstohlene Furcht in den glänzenden Augen entdeckte, wunderte ich mich, wie ich sie je hatte für Menschen halten können.
»Das Gesetz ist gebrochen worden«, sagte Moreau.
»Keiner entkommt«, rief das gesichtslose Geschöpf mit dem silbrigen Haar. »Keiner entkommt«, wiederholte der kniende Kreis des Tiervolks.
»Wer ist es?« rief Moreau und blickte rings in ihre Gesichter und knallte mit der Peitsche. Mir schien, das Hyänenschwein sah bedrückt aus, ebenso der Leopardenmensch. Moreau blieb vor diesem Geschöpf stehen; es wand sich vor ihm in unendlicher Qual.
»Wer ist es?« wiederholte Moreau mit Donnerstimme.
»Böse ist der, der das Gesetz bricht«, sang der Sprecher des Gesetzes.
Moreau blickte dem Leopardenmenschen in die Augen und schien die Seele selber aus dem Geschöpf herauszuziehen.
»Wer das Gesetz bricht ...« sagte Moreau, während er den Blick von seinem Opfer abwandte und sich zu uns drehte. Mir schien, daß in seiner Stimme ein Anflug von Triumph lag.
»... geht zurück in das Haus des Schmerzes«, riefen sie alle; »geht zurück in das Haus des Schmerzes, o Herr!«
»Zurück in das Haus des Schmerzes - zurück in das Haus des Schmerzes«, schnatterte der Affenmensch, als wäre ihm die Vorstellung angenehm.
»Hörst du’s?« fragte Moreau, indem er sich wieder an den Verbrecher wandte. »Mein Freun ... Hallo!«
Denn der Leopardenmensch war, sowie Moreaus Auge ihn
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