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Die Insel des Dr. Moreau

Die Insel des Dr. Moreau

Titel: Die Insel des Dr. Moreau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. G. Wells
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sieben oder acht Quadratmeilen groß. [Diese Schilderung trifft in jeder Hinsicht auf Noble’s Isle zu. - C.E.P.] Sie war vulkanischen Ursprungs und auf drei Seiten von Korallenriffen umsäumt. Einige Fumarolen im Norden und eine heiße Quelle waren die einzigen Spuren der Kräfte, die sie vor langer Zeit geschaffen hatten. Hin und wieder war das leichte Zittern eines Erdbebens zu merken, und zuweilen wurde die Rauchsäule durch Dampfstrahlen in drehende Bewegung versetzt. Aber das war alles. Die Bevölkerung der Insel, sagte mir Montgomery, zählte jetzt mehr als sechzig dieser seltsamen Geschöpfe von Moreaus Kunst, die kleineren Monstrositäten, die im Unterholz lebten und nicht von menschlicher Gestalt waren, nicht mitgerechnet. Im ganzen hatte er etwa hundertundzwanzig gemacht, aber viele waren gestorben; und andere waren wie das sich windende, beinlose Wesen, von dem Moreau mir erzählt hatte, gewaltsam umgekommen. Als Antwort auf meine Frage sagte Montgomery, die Tiermenschen hätten tatsächlich Nachkommenschaft, doch sterbe sie meist. Es gab kein Beispiel für die Vererbung der erworbenen menschlichen Charakteristika. Wenn sie am Leben blieben, holte Moreau sie und prägte ihnen menschliche Form auf. Die weiblichen Wesen waren weniger zahlreich als die männlichen und hatten, trotz der vom Gesetz eingeschärften Monogamie, viel unter heimlicher Verfolgung zu leiden.
    Es wäre mir unmöglich, diese Tiermenschen im einzelnen zu beschreiben - mein Auge ist auf Einzelheiten nicht trainiert -, und unglücklicherweise kann ich nicht zeichnen. Am auffallendsten war vielleicht das Mißverhältnis zwischen den Beinen dieser Geschöpfe und der Länge ihres Rumpfes; und doch - so relativ sind unsere Begriffe von Schönheit - gewöhnte mein Auge sich an ihre Formen, und schließlich stimmte ich ihrer Überzeugung bei, daß meine eigenen langen Schenkel unproportioniert seien. Ein weiterer Punkt war die Neigung des Kopfes und die unförmige und unmenschliche Krümmung der Wirbelsäule. Selbst dem Affenmenschen fehlte jene S-Kurve des Rückens, die die menschliche Gestalt so anmutig macht. Die meisten hatten krumme Schultern, und ihre kurzen, schwächlichen Vorderarme hingen an der Seite herab. Nur wenige waren stark behaart - wenigstens bis zum Schluß meines Aufenthalts auf der Insel.
    Besonders unschön waren ihre Gesichter, die fast alle vorstehende Backenknochen hatten, um die Ohren herum mißgestaltet waren und große und vorspringende Nasen zeigten; das Haar war sehr pelzig oder sehr borstig, und die Augen waren oft seltsam gefärbt oder eigenartig stechend. Keiner konnte lachen, obgleich der Affenmensch ein schnatterndes Kichern hören ließ. Außer diesen allgemeinen Zeichen hatten ihre Köpfe wenig gemein; jeder bewahrte die Art seiner besonderen Spezies; das Menschliche verzerrte, aber verbarg nicht den Leoparden, Ochsen, die Sau oder das andere Tier oder die Tiere, aus denen das Geschöpf gebildet worden war. Auch die Stimmen waren sehr verschieden. Die Hände waren stets schlecht geformt; und obgleich mich einige durch ihre unerwartete Ähnlichkeit mit Menschenhänden überraschten, hatten fast alle zu wenige oder zu viele Finger, waren an den Nägeln grob und ohne Tastempfindlichkeit.
    Die beiden furchtbarsten Tiermenschen waren mein Leopardenmensch und ein Geschöpf, das aus einer Hyäne und einem Schwein gemacht war. Größer als diese waren die drei Stiermenschen, die das Boot ruderten. Dann kamen der Silberhaarmensch, der zugleich Sprecher des Gesetzes war, M’ling und ein satyrartiges Geschöpf aus Affe und Ziege. Ferner gab es noch drei Schweinemänner und eine Schweinefrau, ein Rhinozerosstutengeschöpf und mehrere andere Weibchen, deren Herkunft ich nicht feststellen konnte. Mehrere waren Wolfwesen, eines ein Bärenbulle, einer ein Bernhardinerhundmensch. Den Affenmenschen habe ich schon geschildert, und dann war da noch eine besonders abscheuliche (und übelriechende) Frau, die aus Füchsin und Bärin gemacht war und die ich von Anfang an haßte. Sie war angeblich eine leidenschaftliche Priesterin des Gesetzes. Zu den kleineren Geschöpfen zählten gewisse fleckige Junge und mein kleines Faultierwesen. Aber genug davon!
    Erst empfand ich entsetzliches Grauen vor diesen Tieren; ich fühlte allzu deutlich, daß sie noch Tiere waren; aber unmerklich gewöhnte ich mich an sie, und obendrein rührte mich Montgomerys Haltung ihnen gegenüber. Er war so lange mit ihnen zusammengewesen, daß er sie nun

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