Die Insel des Dr. Moreau
Schmerz, Herren oder Peitschen. So sagen sie. Aber ich weiß, Herr, ich weiß.«
Ich tastete ins Dunkel und tätschelte dem Hundemenschen den Kopf. »Es ist gut«, sagte ich noch einmal.
»Bald wirst du sie alle erschlagen«, meinte der Hundemensch.
»Bald«, antwortete ich, »werde ich sie alle erschlagen. Alle außer denen, die du verschonst, alle sollen erschlagen werden.«
»Was der Herr töten will, das tötet der Herr«, sagte der Tiermensch mit einer gewissen Befriedigung in der Stimme.
»Und damit ihre Sünden wachsen«, sagte ich, »laß sie in ihrer Torheit leben, bis ihre Zeit reif ist. Laß sie nicht wissen, daß ich der Herr bin.«
»Des Herrn Wille ist lieblich«, sagte der Hundemensch.
»Aber einer hat gesündigt«, erklärte ich. »Ihn will ich töten, wo immer ich ihn finde. Wenn ich dir sage: ›Das ist er‹ , dann sieh zu, daß du ihn erwischst. - Und jetzt will ich zu den Männern und Frauen gehen, die versammelt sind.«
Einen Moment wurde der Eingang der Hütte verdunkelt, als der Hundemensch hinausging. Dann folgte ich und stellte mich fast genau dort auf, wo ich gestanden hatte, als ich Moreau und seinen Hetzhund während meiner Verfolgung gehört hatte. Aber jetzt war es Nacht, und die ganze dunstige Schlucht rings um mich war schwarz, und dahinter sah ich statt eines grünen, sonnenbeleuchteten Hangs ein rotes Feuer vor mir, vor dem sich bucklige Gestalten hin und her bewegten. Weiter hinten standen die dichten Bäume wie eine schwarze Mauer. Der Mond glitt gerade am Rand der Schlucht entlang, und wie eine Stange stieg vor seinem Gesicht die Rauchsäule empor, die ewig aus der Fumarole der Insel strömte.
»Geh neben mir«, sagte ich, als ich mich aufmachte, und Seite an Seite gingen wir den schmalen Pfad hinunter, ohne uns um die Wesen zu kümmern, die uns aus den Hütten heraus ansahen.
Keiner am Feuer erhob sich, um mich zu grüßen. Die meisten beachteten mich - ostentativ - nicht. Ich blickte mich nach dem Hyänenschwein um, aber es war nicht da. Es kauerten insgesamt vielleicht zwanzig Tiermenschen dort und starrten ins Feuer oder sprachen miteinander.
»Er ist tot, er ist tot, der Herr ist tot«, sagte die Stimme des Affenmenschen rechts von mir. »Das Haus des Schmerzes - es gibt kein Haus des Schmerzes mehr.«
»Er ist nicht tot«, sagte ich mit lauter Stimme. »Eben jetzt beobachtet er uns.«
Das erschreckte sie. Zwanzig Augenpaare blickten mich an.
»Das Haus des Schmerzes ist fort«, sagte ich. »Es wird wiederkommen. Den Herrn könnt ihr nicht sehen. Und doch hört er euch eben jetzt zu.«
»Wahr, wahr!« sagte der Hundemensch.
Die Tiermenschen wurden durch meine Sicherheit schwankend. Ein Tier kann wild und listig sein, aber um eine Lüge zu sagen, dazu gehört ein wirklicher Mensch. »Der Mann mit dem verbundenen Arm spricht ein seltsames Wort«, sagte einer vom Tiervolk.
»Ich sage euch, es ist so«, erklärte ich. »Der Herr und das Haus des Schmerzes werden wiederkommen. Wehe dem, der das Gesetz bricht!«
Sie blickten einander fragend an. Mit gespielter Gleichgültigkeit begann ich müßig mit meinem Beil auf den Boden vor mir zu schlagen. Ich merkte, wie sie nach den tiefen Schnitten sahen, die ich in den Rasen machte.
Dann erhob der Satyr einen Einwand; ich antwortete ihm, und dann warf eines der gefleckten Wesen etwas ein, und es entspann sich eine lebhafte Diskussion um das Feuer herum. Mit jedem Moment fühlte ich mich sicherer. Ich sprach jetzt weniger stockend, ohne die Aufregung, die mich anfangs gehemmt hatte. Im Verlauf von etwa einer Stunde hatte ich wirklich einige von den Tiermenschen von der Wahrheit meiner Behauptungen überzeugt und die meisten anderen dazu gebracht, an ihrer Ansicht zu zweifeln. Ich hielt die Augen offen, um meinen Feind, das Hyänenschwein, zu entdecken, aber es erschien nicht. Hin und wieder erschreckte mich eine verdächtige Bewegung, aber meine Zuversicht wuchs rasch. Als dann der Mond vom Zenit niederstieg, begann einer der Zuhörer nach dem anderen zu gähnen (und sie zeigten im Licht des sinkenden Feuers die seltsamsten Zähne), und einer nach dem anderen zogen sie sich in die Höhlen der Schlucht zurück. Und ich fürchtete die Stille und das Dunkel und ging mit ihnen, denn ich wußte, ich war bei mehreren von ihnen sicherer als bei einem allein.
So begann der längere Teil meines Aufenthalts auf Doktor Moreaus Insel. Aber von dieser Nacht bis zum Schluß geschah, abgesehen von unzähligen kleinen, unangenehmen
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