Die Insel des Mondes
dass ich Bescheid weiß über ihre elende Großmutter, deren Gebeine, wie ich hoffe, in der Hölle schmoren.
Ein paar Mal schon habe ich überlegt, ob sie wohl reden würde, wenn ich ihr eine Ladung Rum in den Zitronengrastee mische, doch ich fürchte, sie würde es bemerken, ihr Geruchssinn ist außergewöhnlich gut entwickelt. Das muss sie von Mathilde geerbt haben.
3
Anis
Pimpinella anisium, das Anisöl ist farblos oder hellgelb, von intensivem Anisgeruch und verharzt sich schnell an der Luft. Das beste stammt aus dem Gouvernement Woronesch in Russland.
D as Lager hatte Noria zusammen mit den Trägern neben einem kleinen Felsvorsprung aufgebaut, in der Nähe des Flusses. Der Ikopa war sehr breit und rauschte vielversprechend laut. Vielleicht war dieser Fluss endlich tief und sauber genug, dass Paula hier ein Bad nehmen konnte. Sie lief weiter zu ihrem Zelt, das die Träger schon errichtet hatten. Wie jeden Abend wurde es mit einem Schlag stockfinster, das ganze Lager war nur von dem Flackern des stark rauchenden Feuers erhellt, das tapfer mit dem feuchten Holz kämpfte.
Lázló und Morten traten zu ihr und überschütteten sie mit Fragen, denen Villeneuve dann mit seinem Auftauchen ein jähes Ende setzte. »Madame Kellermann gefiel es, ein Schlammbad zu nehmen«, erklärte er den beiden. Mit einem Ächzen ließ er sich auf einer der rund um das Feuer ausgebreiteten geflochtenen Matten aus Palmwedeln nieder. Sobald er saß, trat Noria zu ihm, reichte ihm einen Emaillebecher und goss dann aus einer Blechkanne Zitronengrastee hinein, dessen Duft den bitteren Rauch des Feuers so köstlich überlagerte, dass Paula kurz versucht war, sich zu den beiden zu gesellen, aber dann entschied sie sich dafür, erst im Fluss zu baden.
Sie lief hinüber zu ihrem Zelt und kniete sich vor ihre Kleidertruhe. Als sie den Deckel hochklappte, genoss sie den Duft von Lavendel, der ihr entgegenschlug wie eine vertraute Umarmung, aber sie hielt sich nicht lange auf, sondern kramte nach ihren Ersatzschuhen.
»Hier, das wird Ihnen guttun.« Sie drehte sich überrascht um, Morten war völlig geräuschlos in ihr Zelt gekommen. Der Norweger reichte ihr einen Becher mit Tee und lächelte sie so freundlich an, dass sie sein Lächeln unwillkürlich erwiderte. Das war ein Fehler, sein Mitgefühl schwächte sie. Plötzlich schossen ihr Tränen in die Augen, und ihr war auf einmal viel elender zumute als vorhin allein auf dem Baumstamm.
Sie trank einen großen Schluck und tat dann so, als kämen ihr die Tränen, weil sie sich den Mund verbrannt hatte.
Morten betrachtete sie so wohlwollend, als trüge sie eine prächtige Ballrobe und nicht diesen schlammverschmierten Rock, der an ihren Beinen klebte wie eine alte Decke. Paula wollte gar nicht wissen, wie ihr störrisches Haar aussah oder ihr Gesicht, und sie war dankbar für das schummrige Licht.
»Sie sind eine starke Frau, genau das, was ein Missionar in diesem Land braucht.« Beim Sprechen vernuschelte er sehr stark das S, sodass es sich etwas schleppend und lispelnd an hörte, was jeden seiner Sätze charmant machte, ganz egal, was er sagte, Hauptsache, es war ein S oder Sch darin. Sein Haar war zwar blond und struppig, so wie Paula sich Norweger immer vorgestellt hatte, doch seine Augen waren dunkelbraun, und seine Haut nahm in der Sonne einen goldoliv farbenen Ton an, den Paula verführerisch fand, obwohl Männer sie nicht mehr interessierten. Außerdem strahlte sein harmonisches Gesicht etwas unglaublich Argloses aus. Meistens wirkte er auf sie wie ein übermütiger Bär, der noch nie mit seiner Nase an eine Distel geraten war. Obwohl er sicher auch schon deutlich älter als dreißig sein musste, weckte er etwas in ihr, was sie unter anderen Umständen als Muttergefühle bezeichnet hätte. Aber aus ihrer allerersten Begegnung wusste sie, dass er natürlich kein Kind mehr war.
»Ist alles in Ordnung mit Ihrem Fuß?«, fragte er.
»Ich denke schon.« Sie nickte ihm zu und trank den Tee aus. »Wenn Sie mich jetzt entschuldigen wollen, ich möchte zum Fluss. Danach komme ich zu Ihnen.«
Morten senkte wortlos den Kopf, nahm ihr die leere Tasse ab und trottete zurück zum Feuer, um das die anderen schon saßen.
Paula entzündete den Kosmosbrenner ihrer Petroleumlampe, suchte nach einem Handtuch und ihrer Seife, dann fand sie endlich auch die anderen Schuhe und frische Kleider zum Wechseln.
Sie überlegte, ob sie die Lampe mit zum Ikopa nehmen sollte, entschied sich dann aber dagegen,
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