Die Insel des Mondes
zu schnüren. Außerdem hatte sie sich vor ihrer Reise schlaugemacht und herausgefunden, dass ein Korsett für Alleinreisende so praktisch war wie weiße Glacéhandschuhe zum Abortreinigen.
»Nein«, widersprach sie und erwartete eine heftige Reak tion, denn der Ungar konnte ein Nein sonst nicht ertragen, weshalb es oft zu Spannungen unter den Männern kam. Doch dieses Mal zuckte er nur gleichgültig mit den Schultern, verschwand, und Paula blieb endlich allein zurück.
Unwillkürlich hob sie das Handtuch an ihre Nase und roch daran. Eine Holznote, eine Mischung von Tabak und etwas irritierend Sinnlichem. Das hatte sie schon einmal gerochen. Verblüfft inhalierte sie dieses Aroma erneut. Unfassbar! Es war eindeutig der Geruch von schwarzer Ambra, die so selten wie teuer war und deren Duft sie noch nie an einem Menschen wahrgenommen hatte. Wie war das möglich? Dieser Mann kam soeben aus dem Wasser, und doch verströmte das Handtuch nun diesen animalischen Duft. Verdutzt steckte sie ihre Nase tiefer in das nasse Handtuch und nahm dann noch einen Hauch von Seegras wahr, aber das kam sicher vom Wasser. Jetzt war ihr auch klar, dass dieser Wunsch, ihn anzufassen, nicht nur von seiner makellosen Schönheit, sondern auch von diesem Geruch ausgelöst worden war. Ihre Nase hatte auf winzige Spuren davon reagiert. Obwohl ihr Handtuch nun nass war, steigerte es ihre Lust auf einen Sprung ins Wasser nur noch weiter. Lázló hatte wie neugeboren auf sie gewirkt, und so wollte sie sich nun auch gern fühlen. Sie war froh, dass ihr älterer Bruder Johannes-Karl ihr schon sehr früh in einer der elenden Ferienwochen bei Großmutter Josefa heimlich das Schwimmen beigebracht hatte. Das war eines von unzähligen Geheimnissen, die sie mit Jo geteilt hatte. Ihr unschuldigstes Geheim nis waren die Namen, die sie sich gegeben hatten, wenn sie allein gewesen waren. Er wurde dann zu Jo-Jo und sie zu Pippa. Damals hatte sie noch nicht gewusst, welche furchtbare Kraft Geheimnisse entfalten konnten. Ein Schauer lief über ihren schlanken Körper, für den ihr Ehemann nur Hohn und Verachtung übriggehabt hatte. Sie verbot sich jeden weiteren Gedanken an ihre Vergangenheit, sie war jetzt hier. Und wie aus Trotz gegen alles, wofür ihre Vergangenheit stand, knöpfte sie ihr Leibchen auf und streifte dann entschlossen ihre Hosen ab. Nur das Lederband mit der kleinen Duftöl-Phiole legte sie niemals ab.
Sie beschwerte ihre Kleider mit einem Stein, damit die Abendbrise sie nicht davonwehte, und stieg, nur mit einem Stück ihrer Lieblingsseife bewaffnet, in den Fluss, der zu ihrer Überraschung nicht so kalt war, wie sie gefürchtet hatte.
Sie genoss das frische Wasser, schäumte sich mit der von ihr kreierten Santal- und Orangenblütenseife ein, tauchte sogar unter, um den verkrusteten Schlamm aus ihren viel zu langen Haaren abzulösen, und fühlte sich zum ersten Mal, seit sie von Nosy Be aufgebrochen waren, wieder wohl. Mor gen würden sie hoffentlich endlich Ambohimanga im Osten von Antananarivo erreichen. Dort residierte die amtierende Königin Ranavalona II. in ihrem Sommerpalast, weil Ambohimanga noch etwas höher lag als die Hauptstadt Antananarivo und es deshalb dort kühler war.
Niemals hätte Paula gedacht, dass sie so viele Monate auf der Insel Nosy Be vor der Nordwestküste Madagaskars würde ausharren müssen, um Reisebegleiter nach Antana narivo zu finden. Ihr Plan hatte vorgesehen, gleich nach ihrer Ankunft im Juli, dem madagassischen Winter, zu der Vanilleplantage ihrer Großmutter, irgendwo im Nordosten von Madagaskar, weiterzureisen. Leider hatte ihr niemand sagen können, ob es diese Plantage überhaupt noch gab und ob sie bewirtschaftet wurde, denn ihre Mutter hatte es kategorisch abgelehnt, sich mit Mathildes Erbe zu befassen. Über zwanzig Jahre hatte sich anscheinend niemand darum gekümmert. Deshalb kam es eigentlich auf ein paar Tage mehr oder weniger auch nicht an, aber Paula wurde trotzdem mit jeder Stunde, die sie auf Nosy Be warten musste, unruhiger. Außer dem schrumpften ihre Ersparnisse viel schneller dahin, als sie sich das vor ihrer Abreise aus dem Kaiserreich vorgestellt hatte, und sie war gezwungen, Geld zu verdienen. Sie hatte alles dabei, was sie brauchte, um Parfüms und Duftwasser herzustellen, denn ihr Plan war es, auf dem Grundstück ihrer Großmutter neben der Vanille auch Blumen anzupflanzen, die sich zur Herstellung von Parfüm eigneten. Seit ihrem vierzehnten Geburtstag, dem Lapislazulitag, war kein
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