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Die Insel des Mondes

Die Insel des Mondes

Titel: Die Insel des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Mannel
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Tag vergangen, an dem sie nicht in den Rezepturen ihrer Großmutter geblättert hatte. Und jedes Mal, wenn sie das Buch in die Hand genommen hatte, war es ihr so vorgekommen, als wäre zwischen den vergilbten Seiten mit der verblassten Schrift noch etwas anderes verborgen, doch sie konnte nicht herausfinden, was.
    Paula träumte davon, ein ganz besonderes Parfüm zu kreieren, einen Duft, der Frauen nicht nur schmücken, sondern auch heilend auf ihr Gemüt und ihren Körper wirken sollte.
Wie sehr hatte sie sich gewünscht, so etwas für Jo zu haben, der gerade in dem Jahr gestorben war, in dem sie einen Vertrauten am bittersten nötig gehabt hätte. Mit ihm war der einzige Mensch, mit dem sie reden konnte, verschwunden. Jo hätte sie sicher ermutigt, nach Madagaskar zu fahren, viel leicht wäre er sogar mitgekommen und hätte ihr geholfen, mit ihrer Ungeduld umzugehen.
    Aber sie war allein und schon fast am Ziel, doch nun wurde sie dazu gezwungen auszuharren, während ihr Geld knapp wurde. Und mit Parfüm war auf Nosy Be absolut kein Geld zu machen, denn es gab nur wenige Damen, die welches benutzten.
    Die richtige Idee war ihr schließlich gekommen, als sie am Fluss war, um ihre Wäsche zu waschen. Eine Idee, auf die sie schon viel früher hätte kommen können, wenn sie nicht immer nur mit sich selbst beschäftigt gewesen wäre.
    An diesem Tag waren ungewöhnlich viele Menschen am Fluss, Männer und Frauen, und es wurde eine verblüffend große Menge an Wäsche gewaschen. Während sie dabei zusah, fiel ihr zum ersten Mal auf, dass die Madagassinnen gar keine Seife verwendeten, sondern allein mit Muskelkraft die Flecken aus den Kleidern, meistens waren es Lambas, große viereckige Stofftücher, schrubbten.
    Sie hatte ihren Mut zusammengenommen, sich zu einer Gruppe Frauen gesellt und sie begrüßt: »Manao aohana tom poko.« Wie geht es Ihnen? Ihre zaghaften Versuche, Madagassisch zu sprechen, wurden mit schallendem Gelächter begrüßt, doch sie antworteten ihr freundlich: »Tsara far misaotra tompoko«, danke, gut. Als sie den Frauen ihr Stück Seife hinhielt, wurde es ohne Scheu wie ein willkommenes Geschenk angenommen, mit Begeisterung herumgezeigt, berochen und dann wurde damit gewaschen. Es war klar, dass die Madagassinnen Seife sehr wohl kannten und schätzten, auch wenn sie sich diese offensichtlich nicht leisten konnten. Dann reichte man Paula ein paar sehr schmutzige Hosen zum Waschen, und gerade als Paula ob dieser Zumutung kopfschüttelnd ablehnen wollte, flüsterte ihr eine der Frauen auf Deutsch zu, dass das eine schwere Beleidigung wäre. Und dann erklärte ihr die Fremde, dass Paula gerade das Waschfest zu Ehren eines kürzlich Verstorbenen gestört hatte, was an sich schon sehr unhöflich war. Jetzt eine Einladung zum Waschen dieser Hose abzulehnen sei ein absolutes Fady.
    Während Paula sich mit hochrotem Gesicht daranmachte, die Hose zu schrubben, erläuterte ihr die Frau immer noch flüsternd, dass es hier Tradition sei, sich nach dem Tod des Verstorbenen am Vanasana, dem Waschplatz, zu treffen und gemeinsam die Wäsche zu waschen, um den Toten zu ehren. Ein Fady war ein heiliges Tabu, das zu brechen gefährlich war und das je nach der Schwere des Vergehens sogar mit dem Tode bestraft werden konnte.
    Die hilfsbereite Frau hieß Noria und begleitete sie jetzt auf ihrer Reise. Neben Deutsch sprach sie auch Französisch und Englisch, weil sie bei Missionaren aufgewachsen war.
    Paula legte die Seife zurück auf den hellen Felsen, glitt wieder ins Wasser, drehte sich auf den Rücken, bewegte träge ihre Füße und sah in den Himmel, der jetzt von den Wolken nur noch leicht verschleiert wurde und so den Mond durchschimmern ließ. Diesen prächtigen, so nah scheinenden Mond.
    Jedes Mal, wenn sie hier nachts den Mond sah, dachte sie daran, dass die Araber Madagaskar als die Insel des Mondes bezeichnet hatten, was Paula absolut passend fand, denn ihr kam es so vor, als wäre der Mond für diese Insel viel bestimmender als die Sonne. Und sie war immer noch erstaunt, wenn sie den Halbmond auf dem Rücken liegen sah, wie ein großes U. U, wie Unglück, fiel ihr ein, Ungnade, Unterleib, Unbilden, Ungeheuer. Eine Gänsehaut überlief sie. Unfug, dachte sie, U wie Unfug. Sie drehte sich um und schwamm mit einigen kräftigen Zügen zurück zum Felsen. Dort kletterte sie aus dem Wasser und trocknete sich ab, ohne der wulstigen Narbe, die von ihrem Nabel bis zum Schambein verlief, auch nur die leiseste Beachtung

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