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Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages

Titel: Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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sitzen, das makellos weiße Antlitz so von Licht überflutet, dass es alle anderen Strahlen absorbierte, so dass das glatt zurückgestrichene blonde Haar wie eine dunkle Masse über die Schultern floss und der Busen kaum zu erkennen war unter einem leichten, schräg ausgeschnittenen Hauskleid ...
    Dann aber wollte Ferrante (endlich!, frohlockte Roberto) zu viel Gewinn aus der Eitelkeit eines Traums ziehen, schob sich begierig direkt vor den Spiegel und erblickte hinter der gespiegelten Kerze nur die eigene schamlose Fratze.
    Wutschnaubend über den Verlust eines unverdienten Geschenks griff er wieder nach ihrem Kamm, um ihn lüstern zu betatschen, doch jetzt, im rußigen Licht des verglimmenden Kerzenstummels, erschien ihm dieser Gegenstand (der für Roberto die anbetungswürdigste aller Reliquien gewesen wäre) mit einem Mal wie ein zähnefletschendes Maul, das seine Trostlosigkeit verhöhnte.

 
    32
    DER GARTEN DER LÜSTE
     
    B ei dem Gedanken, dass Ferrante eingeschlossen auf jener Insel saß, den Blick auf eine Tweede Daphne gerichtet, die er nie erreichen würde, und getrennt von der Signora, empfand Roberto, konzedieren wir's ihm, eine tadelnswerte, aber verständliche Befriedigung, die nicht zu trennen war von einer gewissen Befriedigung als Erzähler, war es ihm doch nun mit einer schönen Vertauschung gelungen, seinen Widersacher in eine Lage zu bringen, die der seinen spiegelbildlich unähnlich war.
    Du dort auf deiner Insel mit deiner ledernen Maske, du wirst das Schiff nie erreichen. Ich dagegen auf meinem Schiff mit meiner Gläsernen Maske, ich bin kurz davor, meine Insel zu erreichen – so sagte er sich (ihm), während er sich zu einem erneuten Schwimmversuch rüstete.
     
    Er wusste noch, in welcher Entfernung vom Schiff er sich verletzt hatte, und schwamm daher zunächst mit ruhigen Zügen, die Maske am Gürtel. Als er nahe beim Riff zu sein glaubte, setzte er sich die Maske auf und machte sich an die Erkundung des Meeresgrundes.
    Eine Zeitlang sah er nur Flecken, dann erblickte er plötzlich, gleich einem Seefahrer, der in einer Nacht voller Nebel jäh eine Steilküste vor sich aufragen sieht, das Ende des Abgrunds, über dem er schwamm.
    Er nahm sich die Maske ab, goss das eingedrungene Wasser aus, setzte sie wieder auf, drückte sie sich mit den Händen fest ans Gesicht und schwamm mit langsamen Stößen der Beine dem Schauspiel entgegen, auf das er gerade einen ersten Blick hatte werfen können.
    Das also waren die Korallen! Sein erster Eindruck, nach seinen Aufzeichnungen zu urteilen, war ein verwirrtesStaunen. Er kam sich vor wie im Laden eines Tuchhändlers, der seine kostbarste Ware vor ihm ausbreitete: Taft und Zindel, Samt, Brokat, Atlas, Damast, Stoffe mit Quasten, Troddeln und Fransen, ganze Stolen, Chormäntel, Kaseln, Dalmatiken. Aber die Stoffe bewegten sich aus eigenem Leben mit der Sinnlichkeit orientalischer Tänzerinnen.
    In diese Landschaft – die Roberto nicht beschreiben kann, da er sie zum ersten Mal sieht und in seinem Gedächtnis keine Bilder findet, die ihm gestatten, sie in Worte zu übersetzen – brach unvermittelt eine Schar von Wesen ein, die er schon eher erkennen oder jedenfalls mit etwas schon Gesehenem vergleichen konnte. Es waren Fische, die durcheinanderzuckten wie Sternschnuppen am Augusthimmel, doch in der Auswahl und Zusammenstellung ihrer Töne und Zeichnungen schien es, als habe die Natur demonstrieren wollen, welche Vielfalt an Farben es im Universum gibt und wie viele davon auf einer einzigen Fläche Platz finden.
    Es gab buntgestreifte Fische, sowohl längs- wie quer- wie schräggestreifte, auch solche mit wellenförmigen Streifen. Es gab Fische, die nach Art von Intarsien gearbeitet schienen, bedeckt mit Farbflecken in kapriziöser Verteilung, einige körnig oder gesprenkelt, andere scheckig, gepunktet oder geädert wie Marmor.
    Wieder andere hatten Serpentinenmuster oder erschienen als ein Geflecht von mehreren Ketten. Es gab Fische, die aussahen wie emailliert, besetzt mit Rundschilden und Rosetten. Und einer, der schönste von allen, schien ganz umschlungen von Kordeln, die zwei Fäden bildeten in den Farben von Trauben und Milch, und es war ein Wunder, dass der nach unten gewundene Faden es nicht ein einziges Mal versäumte, nach oben zurückzukehren, als wär's ein Werk von Künstlerhand.
    Erst jetzt, als er unter den Fischen am Meeresgrunde die Formen der Korallen sah, die er auf den ersten Blick nicht hatte erkennen können, unterschied Roberto

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