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Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages

Titel: Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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entfernt, fast am Horizont – die Gipfel eines anderen Profils, das ebenfalls von zwei Vorgebirgen begrenzt war. Sonst überall Meer, so dass man den Eindruck gewinnen konnte, das Schiff sei auf einer Reede vor Anker gegangen, zu der es durch eine breite Meerenge gelangt war, welche die beiden Küsten trennte. Roberto kam zu dem Schluss, dass es sich, wenn nicht um zwei Inseln, sicher um eine Insel vor einer größeren Landmasse handelte. Ich glaube nicht, dass er noch andere Hypothesen erwog, da er noch nie von Buchten gehört hatte, die so groß waren, dass man in ihnen den Eindruck gewinnen konnte, sich zwischen zwei Zwillingsfestländern zu befinden. So hatte er, da er nichts von riesigen Kontinenten wusste, ins Schwarze getroffen.
    Es war keine schlechte Lage für einen Schiffbrüchigen: die Füße auf festem Boden und Land in Reichweite. Aber Roberto konnte nicht schwimmen, er sollte bald feststellen, dass es auf dem Schiff kein Beiboot gab, und das Brett, auf dem er gekommen war, hatte die Strömung längst fortgetrieben. Daher mischte sich in seine Erleichterung, dass er dem Tod entgangen war, die Bestürzung über die dreifache Einsamkeit: des Meeres, der nahen Insel und des Schiffes. »He, niemand an Bord?«, muss er versucht haben in allen ihm bekannten Sprachen zu rufen, wobei ihm aufging, wie schwach er war. Stille. Als ob an Bord alles tot wäre, schrieb er. Und nie hatte er sich – er, der so großzügig mit Gleichnissen war – so unverblümt ausgedrückt. Oder quasi, aber dieses Quasi ist es, wovon ich sprechen möchte, und ich weiß nicht, wo ich anfangen soll.
    Dabei habe ich ja schon angefangen. Ein Mann treibt entkräftet auf dem Ozean, und die nachsichtigen Wellen werfen ihn auf ein Schiff, das verlassen scheint. Verlassen, als wäredie Mannschaft erst kürzlich von Bord gegangen, denn als Roberto sich in die Kombüse zurückschleppt, findet er eine Lampe und Zündzeug, als hätte sie der Koch dort bereitgestellt, ehe er schlafen ging. Aber die beiden Kojen, die sich eine über der anderen neben dem Kamin befinden, sind leer. Roberto zündet die Lampe an, schaut sich um und entdeckt große Mengen von Lebensmitteln: getrockneten Fisch und Zwieback mit nur wenig Schimmel, der sich leicht abschaben lässt. Der Fisch sehr salzig, aber Wasser gibt es nach Belieben.
    Er muss bald wieder zu Kräften gekommen sein, jedenfalls war er gut bei Kräften, als er darüber schrieb, denn er verbreitet sich – hochliterarisch – über die Wonnen seines Festmahls, nie habe Olymp dergleichen bei seinen Gelagen genossen, süße Ambrosia für mich aus den Tiefen des Meeres, das Ungeheuer, des Tod mir nun Leben geworden ... Dies aber schrieb Roberto an die Dame seines Herzens:
     
    Sonne meines Schattens, Licht meiner Nächte,
    warum hat der Himmel mich nicht zermalmt in jenem Sturme, den er so wütend entfacht? Wozu dem gefräßigen Meere diesen meinen Leib entreißen, wenn meine Seele dann in dieser geizigen und dazu trostlosen Einsamkeit auf grässliche Weise Schiffbruch erleiden sollte ?
    Vielleicht, wenn der barmherzige Himmel mir keine Hilfe sendet, werdet Ihr nie diesen Brief lesen, den itzo ich schreibe, und verbrannt wie eine Fackel vom Licht dieser Meere werde ich mich vor Euren Augen verdunkeln, denn eine Selene, die ach! Zu viel vom Licht ihrer Sonne genossen, während sie ihre Reise hinter der letzten Krümmung unseres Planeten vollendet, beraubt der Hilfe durch die Strahlen des sie beherrschenden Astrums, verdünnt sich erst zum Bildnis der Sichel, die den Lebensfaden abschneidet, und löst sich alsdann, eine matter und matter werdende Leuchte, zur Gänze in jenem großen wächsernen Himmelsschild auf, in dem die ingeniöse Natur heroische Devisen und rätselhafte Embleme ihrer Geheimnisse bildet. Eures Blickes beraubt, bin ich blind, da Ihr mich nicht sehet, und stumm, da Ihr nicht zu mir redet, und ohne Gedächtnis, da Ihr nicht meiner gedenket.
    Und ich lebe nur, brennende Trübnis und düstere Flamme, als vages Phantasma, welches mein Geist, immer gleich gestaltend in diesem widrigen Streit der Gegensätze, so gern dem Euren darbieten würde. Mein Leben rettend in dieser hölzernen Burg, in dieser schwimmenden Festung, in diesem Gefängnis des Meeres, das vor dem Meer mich bewahrt, bestraft von des Himmels Gnade, verborgen in diesem tiefuntersten Sarkophage, der offen für alle Sonnen, in diesem unterirdischen Luftschiff in diesem unüberwindlichen Kerker, der mich allseits zur Flucht ermuntert,

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