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Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages

Titel: Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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wüsste (über das, was er nicht wusste), in der Hoffnung, dass der andere sich etwas entschlüpfen ließ.
    Wir haben also zwei Männer, die beide nichts über das wissen, wovon sie glauben, dass der andere es wisse, und die also beide, um einander zu täuschen, nur in Anspielungen reden, jeder in der vergeblichen Hoffnung, dass der andere den Schlüssel zu jener Chiffre kenne. Was für eine schöne Geschichte, sagte sich Roberto, während er den Zipfel suchte, an dem er das Knäuel entwirren konnte.
    »Signor di San Patrizio«, begann Mazarin und rückte eine Schale mit lebenden Hummern, die aussahen wie gekochte, neben eine mit gekochten Hummern, die aussahen wie lebende. »Vor einer Woche haben wir Euch in Amsterdam auf die Amarilli gebracht. Ihr könnt das Unternehmen nicht unverrichteter Dinge abgebrochen haben, wusstet Ihr doch, dass Ihr dafür mit dem Leben bezahlen würdet. Also habt Ihr bereits entdeckt, was Ihr entdecken solltet.«
    So vor sein Dilemma gestellt, sah Ferrante, dass es für ihn nicht ratsam war, zu gestehen, er habe das Unternehmen abgebrochen. Also blieb ihm nur der andere Weg: »Nun, wenn es Eurer Eminenz so gefällt«, sagte er, »in einem gewissen Sinne weiß ich, was Eure Eminenz wünschten, dass ich herausfinden sollte.« Und im Stillen fügte er hinzu: »Und immerhin weiß ich jetzt, dass sich das Geheimnis an Bord eines Schiffes namens Amarilli befindet, das vor einer Woche in Amsterdam ausgelaufen ist ...«
    »Nur zu, seid nicht so bescheiden. Ich weiß sehr wohl, dass Ihr mehr erfahren habt, als ich mir erwartet hatte. Seit Eurer Abreise habe ich neue Informationen erhalten, denn Ihr werdet ja wohl nicht glauben, Ihr wäret mein einziger Agent. Ich weiß also, dass Eure Entdeckung viel wert ist, und ich bin nicht hier, um zu feilschen. Ich frage mich allerdings, warum Ihr versucht habt, auf so gewundenen Wegen zu mir zurückzukommen.« Derweil zeigte er den Dienern, wo sie hölzerne Schüsseln in Form von Fischen hinstellen sollten, die Fleisch enthielten, über das er nicht Bratensoße, sondern Sirup gießen ließ.
    Ferrante gewann immer mehr den Eindruck, dass das Geheimnis unbezahlbar war, aber er sagte sich, dass ein geradeaus fliegender Vogel leichter getroffen wird als einer, derständig die Richtung wechselt. Daher nahm er sich Zeit, um den Gegner auf die Probe zu stellen: »Eure Eminenz wissen, dass es um etwas ging, was gewundene Wege verlangte.«
    »Ha, Gauner«, sagte sich Mazarin im Stillen, »du bist dir nicht sicher, wie viel deine Entdeckung wert ist, und wartest, dass ich den Preis nenne. Aber du wirst zuerst reden müssen.« Er rückte halbgefrorene Desserts zurecht, die aussahen wie Pfirsiche, die noch am Ast hingen, dann sagte er laut: »Ich weiß, was Ihr habt. Und Ihr wisst, dass Ihr es keinem anderen als mir vorlegen könnt. Scheint es Euch da sehr sinnvoll, das Weiße für schwarz auszugeben und das Schwarze für weiß?«
    »Ha, verdammter Fuchs«, sagte sich Ferrante im Stillen, »du weißt überhaupt nicht, was ich wissen sollte, und das Dumme ist, dass ich es auch nicht weiß.« Dann sagte er laut: »Eure Eminenz wissen sehr gut, dass die Wahrheit manchmal das Konzentrat der Bitterkeit sein kann.«
    »Das Wissen schadet nie.«
    »Aber manchmal ist es betrüblich.«
    »Also betrübt mich. Ich werde nicht betrübter sein als an dem Tag, da ich erfuhr, dass Ihr Hochverrat begangen hattet und ich Euch dem Henker würde übergeben müssen.«
    Ferrante begriff, dass er, wenn er Robertos Rolle spielte, auf dem Schafott enden konnte. Dann war es schon besser, sich als der zu erkennen zu geben, der er war, und schlimmstenfalls von den Lakaien hinausgeprügelt zu werden.
    »Eminenz«, sagte er, »ich habe den Fehler gemacht, Euch nicht gleich die volle Wahrheit zu sagen. Herr Colbert hat mich irrtümlicherweise für Roberto de La Grive gehalten, und sein Irrtum hat vielleicht auch einen so scharfen Blick wie den Eurer Eminenz getrübt. Aber ich bin nicht Roberto, sondern nur sein natürlicher Bruder Ferrante. Ich bin hergekommen, um Eurer Eminenz Informationen anzubieten, die Eure Eminenz interessieren könnten, da Eure Eminenz doch der erste war, der dem verstorbenen und unvergesslichen Kardinal gegenüber diese Intrige der Engländer erwähnt hat ... Eure Eminenz wissen schon, diese Geschichte mit dem sympathetischen Pulver und dem Problem der Längengrade ...«
    Bei den letzten Worten machte Mazarin eine ärgerliche Bewegung, so dass er beinahe eine

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