Die Insel Des Vorigen Tages
begleite ihn beim Hofgang. Ein Wächter sei ständig vor seiner Tür, auch bei Nacht. Das Eingesperrtsein läßt auch die stolzesten Geister erweichen, unser Sturkopf wird nur Biscarat als Gesprächspartner haben, und so kann es sein, daß er sich eine Vertraulichkeit entschlüpfen läßt. Achtet vor allem darauf, daß ihn niemand erkennt, weder auf der Reise noch im Fort ...«
»Und wenn er Hofgang hat ... ?«
»Nun, laßt Euch etwas einfallen, Colbert. Eine Gesichtsmaske zum Beispiel.«
»Ich könnte mir... eine eiserne Maske vorstellen, mit einem Vorhängeschloß, dessen Schlüssel ins Meer geworfen wird...«
»Na, na, Colbert, sind wir vielleicht im Land der Romane? Gestern abend haben wir doch diese italienischen Komödianten gesehen mit diesen ledernen Vogelmasken mit großer Nase, die das ganze Gesicht entstellen, aber den Mund frei lassen. Findet eine davon und laßt sie ihm so anlegen, daß er sie sich nicht abnehmen kann, und hängt ihm einen Spiegel in die Zelle, so daß er jeden Tag vor Scham stirbt, wenn er sich sieht. Hatte er sich nicht als sein Bruder maskieren wollen? Nun, man maskiere ihn als Polichinel! Und achtet darauf: Laßt ihn von hier bis zum Fort in einer geschlossenen Kutsche bringen, die nur bei Nacht und auf freiem Felde anhält, und sorgt dafür, daß er sich nicht zeigt, wenn die Kutsche hält. Wenn jemand Fragen stellt, sagt meinetwegen, Ihr brächtet eine große Dame an die Grenze, die gegen den Kardinal konspiriert habe.«
Behindert durch seine lächerliche Verkleidung, starrte Ferrante nun schon seit Tagen (durch ein Gitter, das wenig Licht in seine Zelle eindringen ließ) auf ein graues, von kahlen Dünen umgebenes Halbrund, in dem die Tweede Daphne vor Anker lag.
Er beherrschte sich, wenn er mit Hauptmann Biscarat zusammen war, und gab sich ihm gegenüber abwechselnd als Roberto und als Ferrante zu erkennen, so daß des Hauptmanns Berichte an Mazarin immer unschlüssig waren. Es war ihm gelungen, im Vorbeigehen ein paar Gesprächsfetzen der Wachen aufzuschnappen, aus denen er entnommen hatte, daß in den Verliesen des Forts Piraten eingesperrt waren.
Im Bestreben, sich an Roberto für ein Unrecht zu rächen, das er gar nicht erlitten hatte, sann er auf Mittel und Wege, eine Gefängnisrevolte zu provozieren, die Piraten zu befreien, das Schiff zu kapern und sich auf Robertos Spuren zu setzen. Er wußte, wo anfangen, in Amsterdam würde er Spione finden, die ihm etwas über das Ziel der Amarilli sagen würden. Er würde sie einholen, würde Robertos Geheimnis entdecken, seinen verhaßten Doppelgänger ins Meer stürzen und imstande sein, dem Kardinal etwas für einen hohen Preis zu verkaufen.
Oder nein, vielleicht würde er, wenn er das Geheimnis einmal entdeckt hatte, es auch an andere verkaufen können. Und warum überhaupt es verkaufen? Nach allem, was er davon wußte, mußte es bei diesem Geheimnis um die Karte einer Schatzinsel gehen oder vielleicht auch um das Geheimnis der Alumbrados und der Rosenkreuzer, von dem seit zwanzig Jahren die Rede war. Er würde die Entdeckung zum eigenen Vorteil nutzen, würde nicht länger mehr für einen Herrn spionieren müssen, sondern selbst Spione in seinen Diensten haben. Wenn er erst einmal richtig reich und mächtig geworden war, würde ihm nicht nur der angestammte Familienname, sondern auch die Signora gehören.
Gewiß war der von Haß durchdrungene Ferrante nicht fähig zu wahrer Liebe, sagte sich Roberto, aber es gibt Leute, die sich nie verliebt hätten, wenn sie nicht von der Liebe hätten reden hören. Vielleicht findet Ferrante in seiner Zelle einen Roman, liest ihn und redet sich ein, daß er Liebe empfinde.
Vielleicht hatte Lilia ihm bei ihrer ersten Begegnung ihren Kamm als Liebesunterpfand geschenkt. Nun hielt Ferrante den Kamm in der Hand und küßte ihn, und während er ihn küßte, versank er schmachtend in den Fluten, die jener elfenbeinerne Rammsporn durchpflügt hatte.
Vielleicht, wer weiß, konnte selbst ein Bösewicht solchen Kalibers bei der Erinnerung an jenes Antlitz weich werden ... Roberto sah jetzt Ferrante im Dunkeln vor dem Spiegel sitzen, in dem sich für den, der von der Seite hineinblickte, nur die davor gestellte Kerze spiegelte. Wenn man zwei brennende Kerzen betrachtet, von denen die eine die andere nachäfft, wird der Blick starr, der Geist läßt sich betören, und man sieht Visionen. Ferrante neigte den Kopf ein wenig zur Seite und sah Lilia im Spiegel sitzen, das makellos weiße Antlitz so
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