Die Insel Des Vorigen Tages
Schalen mit bronzenen Mispelzweigen, zwischen denen sich Kanarienvögel, Eidechsen und Kolibris tummelten.
Er befand sich über einem Garten, nein, falsch, es schien ihm jetzt ein versteinerter Wald zu sein, aus Ruinen von Pilzen gebildet - nein, noch anders, er hatte sich wieder getäuscht, jetzt waren es Hügel, Falten, Steilhänge, Senken und Höhlen, ein einziges Rutschen und Gleiten lebendiger Steine, auf denen sich eine unirdische Vegetation in den verschiedensten Formen entfaltete, plattgedrückte, runde oder schuppige Wesen, die aussahen, als trügen sie ein granitenes Kettenhemd, oder auch knorrige oder zusammengeduckte, in sich zurückgezogene Gestalten. Doch so verschieden sie immer auch sein mochten, alle waren sie von so betörender Anmut und Grazie, daß selbst diejenigen, die scheinbar nachlässig oder roh gezeichnet waren, ihre Roheit mit majestätischer Würde zeigten, und wenn sie als Monstren erschienen, so als Monstren an Schönheit.
Oder noch anders (Roberto streicht durch und verbessert sich und findet nicht die richtigen Worte, wie jemand, der einen quadratischen Kreis, eine ebene Steilküste, ein lärmendes Schweigen, einen nächtlichen Regenbogen beschreiben muß): Was er da sah, waren Zinnobersträucher.
Vielleicht hatte sich infolge des langen Atemanhaltens sein Blick getrübt, oder das in die Maske eindringende Wasser ließ die Formen und Farbtöne vor seinen Augen verschwimmen. Er hob den Kopf und reckte ihn hoch, um sich die Lunge mit frischer Luft zu füllen, und schwamm dann weiter am Rand des unterseeischen Abgrunds entlang, vorbei an Schluchten und Schründen und Spalten, in denen sich weinselige Harlekine tummelten, während reglos auf einem Felsvorsprung, bewegt nur durch langsames Atmen und Scherenschwenken, ein Hummer hockte mit einem Kamm wie aus Sahne, lauernd über einem Netzgeflecht von Korallen (diese gleich denen, die Roberto schon kannte, aber angeordnet wie Bruder Stephans Hefepilz, der nie endet).
Was er jetzt sah, war kein Fisch, aber auch kein Blatt, es war gewiß etwas Lebendiges: zwei große Scheiben weißlicher Materie, karmesinrot gerändert, mit einem fächerförmigen Federbusch; und wo man Augen erwartet hätte, zwei umhertastende Hörner aus Siegellack.
Getigerte Polypen, die im glitschigen Wurmgeschlinge ihrer Tentakel das Fleischrot einer großen zentralen Lippe enthüllten, streiften Plantagen albinoweißer Phalli mit amarantroter Eichel; rosarot und olivbraun gefleckte Fischchen streiften aschgraue Blumenkohlköpfe mit scharlachroten Pünktchen und gelblich geflammte Knollen schwärzlichen Astwerks... Und weiter sah man die lilarote poröse Leber eines großen Tiers oder auch ein Feuerwerk von quecksilbrigen Arabesken, Nadelkissen voll bluttriefender Dornen und schließlich eine Art Kelch aus mattem Perlmutt ...
Dieser Kelch erschien Roberto auf einmal wie eine Urne, und ihm kam der Gedanke, daß zwischen jenen Felsen dort der Leichnam Pater Caspars liegen könnte. Nicht mehr erkennbar, wenn die Wirkung des Wassers ihn zuerst mit Korallenschlamm überzogen hatte, doch die Korallen würden die irdischen Säfte jenes Körpers aufgesogen und die Gestalt von Gartenblumen und -früchten angenommen haben.
Vielleicht würde er den armen Alten in Kürze dort unten wiedererkennen, verwandelt zu einem bisher unbekannten Wesen: das Rund des Kopfes aus einer haarigen Kokosnuß gebildet, zwei Dörräpfel als Wangen, Augen und Lider zwei bittere Aprikosen, die Nase eine Gänsedistel, wulstig wie der Kot eines Tieres; darunter anstelle der Lippen trockene Feigen, eine spitz zulaufende Runkelrübe für das Kinn und eine runzlige Artischocke als Kehle; an den Schläfen zwei Kastanienigel als Haarbüschel und für die Ohren die beiden Halbschalen einer gespaltenen Nuß; als Finger Karotten, der Bauch eine Wassermelone, aus Quitten die Knie.
Aber wie konnte Roberto so traurige Gedanken in so grotesker Form hegen? In ganz anderer Form müßten doch die sterblichen Überreste seines armen Freundes dort unten ihr »Auch ich in Arkadien«
proklamieren ...
Da, vielleicht in der Totenschädelform jener kieselähnlichen Koralle ... Jener Doppelgänger eines Steins schien ihm ohnehin bereits aus seinem Bett gerissen. Halb aus Pietät, als Andenken an den verstorbenen Lehrer, halb um dem Meer wenigstens einen seiner Schätze zu entreißen, nahm er ihn, barg die Beute an seiner Brust und schwamm, da er für diesen Tag genug gesehen hatte, zurück zum Schiff.
Unterirdische
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