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Die Insel Des Vorigen Tages

Die Insel Des Vorigen Tages

Titel: Die Insel Des Vorigen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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wie neugeboren. Es war also wieder Nacht und nicht noch.
    Er aber dachte gewiß, daß es noch dieselbe Nacht war, andernfalls hätte ihn, wenn inzwischen ein ganzer Tag vergangen wäre, doch irgendwer finden müssen. Das Mondlicht, das vom Deck her eindrang, beleuchtete den Raum so hell, daß er jetzt klar zu erkennen war als die Kombüse des Schiffs mit ihrem über dem Herd aufgehängten Kessel.
    Es gab zwei Türen, eine zum Bugspriet und eine nach hinten zum Deck. Roberto trat an die zweite und erblickte auf dem fast taghell erleuchteten Deck die sauber zusammengerollten Taue, die Ankerwinde, die Masten mit den eingerollten Segeln, einige Kanonen an den Geschützpforten und die Silhouette des Achterkastells. Er rief etwas, aber keine lebende Seele antwortete. Er blickte über die Bordkante und sah an Steuerbord, etwa eine Meile entfernt, das Profil einer Insel mit Palmen am Ufer, die sich im Wind bewegten.
    Die Küste bildete eine Bucht, ein Halbrund zwischen zwei kleinen Vorgebirgen, gesäumt von einem weißen Sandstrand, der in der bleichen Dunkelheit glänzte, aber wie jeder Schiffbrüchige hätte Roberto nicht sagen können, ob es eine Insel oder Festland war.
    Er wankte zur anderen Bordwand hinüber und sah - aber diesmal weit entfernt, fast am Horizont - die Gipfel eines anderen Profils, das ebenfalls von zwei Vorgebirgen begrenzt war. Sonst überall Meer, so daß man den Eindruck gewinnen konnte, das Schiff sei auf einer Reede vor Anker gegangen, zu der es durch eine breite Meerenge gelangt war, welche die beiden Küsten trennte. Roberto kam zu dem Schluß, daß es sich, wenn nicht um zwei Inseln, sicher um eine Insel vor einer größeren Landmasse handelte. Ich glaube nicht, daß er noch andere Hypothesen erwog, da er noch nie von Buchten gehört hatte, die so groß waren, daß man in ihnen den Eindruck gewinnen konnte, sich zwischen zwei Zwillingsfestländern zu befinden. So hatte er, da er nichts von riesigen Kontinenten wußte, ins Schwarze getroffen.
    Es war keine schlechte Lage für einen Schiffbrüchigen: die Füße auf festem Boden und Land in Reichweite. Aber Roberto konnte nicht schwimmen, er sollte bald feststellen, daß es auf dem Schiff kein Beiboot gab, und das Brett, auf dem er gekommen war, hatte die Strömung längst fortgetrieben. Daher mischte sich in seine Erleichterung, daß er dem Tod entgangen war, die Bestürzung über die dreifache Einsamkeit: des Meeres, der nahen Insel und des Schiffes. »He, niemand an Bord?« muß er versucht haben in allen ihm bekannten Sprachen zu rufen, wobei ihm aufging, wie schwach er war. Stille. Als ob an Bord alles tot wäre, schrieb er. Und nie hatte er sich - er, der so großzügig mit Gleichnissen war so unverblümt ausgedruckt. Oder quasi, aber dieses Quasi ist es, wovon ich sprechen möchte, und ich weiß nicht, wo ich anfangen soll.
    Dabei habe ich)’a schon angefangen. Ein Mann treibt entkräftet auf dem Ozean, und die nachsichtigen Wellen werfen ihn auf ein Schiff, das verlassen scheint. Verlassen, als wäre die Mannschaft erst kürzlich von Bord gegangen, denn als Roberto sich in die Kombüse zurückschleppt, findet er eine Lampe und Zündzeug, als hätte sie der Koch dort bereitgestellt, ehe er schlafen ging. Aber die beiden Kojen, die sich eine über der anderen neben dem Kamin befinden, sind leer. Roberto zündet die Lampe an, schaut sich um und entdeckt große Mengen von Lebensmitteln: getrockneten Fisch und Zwieback mit nur wenig Schimmel, der sich leicht abschaben läßt. Der Fisch sehr salzig, aber Wasser gibt es nach Belieben.
    Er muß bald wieder zu Kräften gekommen sein, jedenfalls war er gut bei Kräften, als er darüber schrieb, denn er verbreitet sich - hochliterarisch - über die Wonnen seines Festmahls, nie habe Olymp dergleichen bei seinen Gelagen genossen, süße Ambrosia für mich aus den Tiefen des Meeres, das Ungeheuer, des Tod mir nun Leben geworden ... Dies aber schrieb Roberto an die Dame seines Herzens:

    Sonne meines Schattens, Licht meiner Nächte, warum hat der Himmel mich nicht zermalmt in jenem Sturme, den er so wütend entfacht?
    Wozu dem gefräßigen Meere diesen meinen Leib entreißen, wenn meine Seele dann in dieser geizigen und dazu trostlosen Einsamkeit auf gräßliche Weise Schiffbruch erleiden sollte?
    Vielleicht, wenn der barmherzige Himmel mir keine Hilfe sendet, werdet Ihr nie diesen Brieflesen, den itzo ich schreibe, und verbrannt wie eine Fackel vom Licht dieser Meere werde Ich mich vor Euren Augen

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