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Die Insel Des Vorigen Tages

Die Insel Des Vorigen Tages

Titel: Die Insel Des Vorigen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Wind. Kann man sich in Begriffen der Naturphilosophie - nicht des Glaubens - ein unendliches Nichts vorstellen? Viel leichter kann man sich eine unabsehbar große Welt in der Weise vorstellen, wie die Dichter sich Menschen mit Hörnern oder Fische mit zwei Schwänzen vorstellen, nämlich durch Kombination schon bekannter Teile: Man braucht der Welt nur immer dort, wo man glaubt, daß sie zu Ende sei, weitere Teile anzufügen (weitere Weiten, die immer noch aus Wasser und Land, Gestirnen und Himmeln bestehen), Teile gleich denen, die wir schon kennen. Ohne Begrenzung.
    Und wenn die Welt endlich wäre, aber das Nichts, insofern eben nichts, es nicht sein könnte, was bliebe dann jenseits der Grenzen der Welt? Die Leere. Sieh an, und so würden wir, um das Unendliche zu negieren, die Leere bejahen, die nicht umhinkann, unendlich zu sein, andernfalls müßten wir uns an ihrem Ende ja eine neue, undenkbare Weite von nichts denken. Dann schon lieber gleich und freiwillig an die Leere denken und sie mit Atomen füllen, es sei denn, man denkt sie sich als eine absolut leere Leere.
    Roberto sah sich mit einem großen Privileg beschenkt, das seinem Unglück einen Sinn verlieh. Da hatte er nun den evidenten Beweis für die Existenz anderer Himmel, und gleichzeitig konnte er, ohne ins jenseits der Himmelssphären aufsteigen zu müssen, viele Welten in einer Koralle erraten. War es nötig zu berechnen, in wie vielen Gestalten die Atome des Universums sich zusammensetzen könnten - und jene auf den Scheiterhaufen zu schicken, die behaupteten, daß ihre Zahl unendlich sei -, wenn es genügte, jahrelang über einem dieser Meeresobjekte zu meditieren, um zu begreifen, daß die Abweichung eines einzigen Atoms, sei sie nun von Gott gewollt oder vom Zufall herbeigeführt, ungeahnte Milchstraßen ins Leben zu rufen vermochte?
    Die Erlösung durch Christus? Ein falsches Argument, ja genaugenommen - protestierte Roberto, der keinen Ärger mit dem nächsten Jesuiten haben wollte, dem er begegnen würde - ein Argument von Leuten, die unfähig sind, Gottes Allmacht zu denken. Wer wollte ausschließen, daß im Schöpfungsplan die Erbsünde in allen Welten gleichzeitig geschehen ist, auf unterschiedliche und unerwartete, aber stets überzeugende Weise, und daß Christus am Kreuz für alle gestorben ist, für die Bewohner des Mondes wie für die des Sirius wie auch für die der Korallenwelt, die auf den Molekülen dieses durchlöcherten Steins lebten, als er noch lebendig war?
    In Wirklichkeit war Roberto nicht überzeugt von seinen Argumenten; er kochte sich eine Suppe aus zu vielen Ingredienzen zusammen, beziehungsweise er packte alle möglichen Dinge, die er irgendwo gehört hatte, in einen einzigen Gedankengang, und er war nicht so naiv, das nicht selber zu merken. Deshalb erteilte er nun, nachdem er einen möglichen Gegner besiegt hatte, diesem wieder das Wort und identifizierte sich mit seinen Einsprüchen.
    Einmal war ihm Pater Caspar in einer Diskussion über die Leere mit einem Syllogismus gekommen, auf den er nichts zu entgegnen gewußt hatte: Die Leere ist Nichtsein, aber Nichtsein ist ja eben nicht, also ist auch die Leere nicht. Das Argument war gut, insofern es die Leere verneinte und gleichwohl einräumte, daß man sie denken konnte. Tatsächlich lassen sich nichtexistierende Dinge ja sehr gut denken. Kann eine Chimäre, die im Leeren brummt, Nebenabsichten fressen? Nein, denn die Chimäre existiert nicht, im Leeren hört man keinerlei Brummen, Nebenabsichten sind geistige Dinge, und eine gedachte Birne kann man nicht fressen. Und doch kann ich an eine Chimäre denken, auch wenn sie chimärisch ist, also nicht existiert. Und genauso ist es bei der Leere.
    Roberto erinnerte sich an die Antwort eines Neunzehnjährigen, der in Paris eines Tages zu einer Versammlung seiner philosophischen Freunde eingeladen worden war, weil es hieß, er beschäftige sich mit der Konstruktion einer Rechenmaschine. Roberto hatte nicht ganz verstanden, wie die Maschine funktionieren sollte, und hatte den jungen (vielleicht aus Neid) zu blaß, zu ernst und zu klug für sein Alter gefunden, während seine freidenkerischen Freunde ihn lehrten, daß man auch auf fröhliche Weise klug sein kann. Um so weniger hatte Roberto ertragen, daß der junge Mann, als es um die Frage der Leere ging, mit einer gewissen Unverschämtheit erklärte: »Man hat bisher bloß immer über die Leere geredet.
    Es kommt darauf an, sie durch Experimente zu beweisen.«
    Und es klang,

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