Die Insel Des Vorigen Tages
sein würde, derselben Sonne und denselben Winden ausgesetzt.
Er zog sich nackt aus, legte sich hin, schloß die Augen und steckte sich die Finger in die Ohren, um durch kein Geräusch gestört zu werden, ganz wie ein Stein, der keine Sinnesorgane hat. Er versuchte, alle persönlichen Erinnerungen und alle Bedürfnisse seines menschlichen Körpers auszulöschen. Wenn es gegangen wäre, hätte er auch seine Haut ausgelöscht, und da es nicht ging, bemühte er sich, sie so fühllos wie möglich zu machen.
Ich bin ein Stein, ich bin ein Stein, ich bin ein Stein, sagte er sich. Und dann, um sogar noch zu vermeiden, daß er zu sich selber sprach: Stein, Stein, Stein.
Was würde ich fühlen, wenn ich wirklich ein Stein wäre? Vor allem die Bewegung der Atome, die mich bilden, oder das gleichbleibende Vibrieren der Beziehungen, welche die Teile der Teile meiner Teile zueinander unterhalten. Ich würde das Summen meines Steinens hören. Aber ich könnte nicht ich sagen, denn um ich zu sagen, braucht man andere oder etwas anderes, denen oder dem man sich entgegensetzen kann. Der Stein kann im Prinzip nicht wissen, daß es außer ihm noch etwas anderes gibt.
Er summt, er steint vor sich hin und weiß von nichts anderem. Er ist eine Weit für sich. Eine Welt, die selbstgenügsam vor sich hin weltet.
Und doch, wenn ich diesen Korallenstein berühre, fühle ich, daß er an der Oberseite, die in der Sonne gelegen hat, sich deren Wärme bewahrt hat, während die Unterseite, mit der er auf den Planken gelegen hat, kälter ist; und wenn ich ihn spalten würde, könnte ich vielleicht fühlen, daß die Wärme von oben nach unten abnimmt. Nun bewegen sich die Atome in einem warmen Körper schneller als in einem kalten, und daher kann dieser Stein nicht umhin, wenn er sich als Bewegung fühlt, in seinem Innern eine differenzierte Bewegung zu spüren. Wenn er ewig in derselben Position der Sonne ausgesetzt bliebe, würde er vielleicht anfangen, etwas wie ein Oben und ein Unten zu unterscheiden, und sei’s auch nur als zwei verschiedene Arten von Bewegung. Da er nicht wüßte, daß die Ursache dieser Verschiedenheit eine externe Kraft ist, würde er sich so denken, als wäre diese Art der Bewegung seine Natur. Doch angenommen, es käme zu einem Erdrutsch, und der Stein würde zu Tal rollen, bis er eine andere Position einnähme, so würde er fühlen, daß sich nun andere Teile von ihm bewegten, solche, die vielleicht vorher ganz langsam gewesen waren, während diejenigen, die vorher schnell gewesen waren, sich nun viel langsamer regten. Und während der Boden langsam wegrutschte (und das könnte ein sehr langsamer Prozeß sein), würde er spüren, daß die Wärme - oder die daraus resultierende Bewegung -
allmählich von einem Teil seines Körpers zum anderen überginge.
Während er dies alles dachte, setzte Roberto verschiedene Seiten seines Körpers den Strahlen der Sonne aus, indem er sich langsam auf dem Deck umherwälzte, bis er in eine Schattenzone gelangte und sich ein wenig verdüsterte, wie es sich für einen Stein gehört.
Wer weiß, fragte er sich, ob der Stein bei diesen Bewegungen nicht anfängt, einen Begriff, wenn nicht von Ort, so doch zumindest von Seite zu haben; auf jeden Fall sicherlich von Veränderung. Nicht jedoch von Passion, denn er kennt ja nicht ihr Gegenteil, die Aktion. Oder vielleicht doch? Denn daß er Stein ist, so und nicht anders zusammengesetzt, das fühlt er ständig, aber daß er einmal hier warm und einmal dort kalt ist, das fühlt er abwechselnd. Also ist er in gewisser Weise fähig, sich selbst als Substanz von seinen eigenen Akzidenzien zu unterscheiden. Oder nein, denn wenn er sich selbst als Beziehung fühlt, würde er sich ja als Beziehung zwischen verschiedenen Akzidenzien fühlen. Er würde sich als eine Substanz im Werden fühlen. Und was heißt das? Fühle ich mich als etwas anderes? Wer weiß, ob die Steine wie Aristoteles oder wie der Kanonikus denken. Jedenfalls könnte sie dies alles Jahrtausende kosten, aber das ist nicht das Problem; es ist vielmehr die Frage, ob der Stein sich sukzessive Wahrnehmungen seiner selbst irgendwie merken kann. Denn wenn er sich einmal oben warm und unten kalt fühlt und dann umgekehrt, aber sich im zweiten Fall nicht mehr an den ersten erinnert, dann würde er ja weiter glauben, daß seine innere Bewegung immer dieselbe sei.
Aber warum soll er, wenn er eine Wahrnehmung von sich hat, nicht auch ein Gedächtnis haben? Das Gedächtnis ist ein
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