Die Insel Des Vorigen Tages
können. In dieser großen Leere des Leeren ist das einzige, was es wirklich gibt, die Geschichte dieses Werdens in unzähligen vorübergehenden Verbindungen ...
Zusammengesetzt aus was? Aus dem einzigen großen Nichts, das die Substanz des Ganzen ist.
Reguliert wird diese Substanz von einer majestätischen Notwendigkeit, die sie dazu bringt, Welten zu erschaffen und zu zerstören und unsere blassen Leben hineinzuweben. Wenn ich diese Notwendigkeit akzeptiere, wenn es mir gelingt, sie zu lieben, zu ihr zurückzukehren und mich ihrem Willen zu fügen, wird dies der vollkommene Glückszustand sein. Nur indem ich ihr Gesetz akzeptiere, werde ich meine Freiheit finden. Zurückzufließen in diese Notwendigkeit wird das Heil und die Rettung sein, die Flucht vor den Leidenschaften in die einzige Große Passion, die Geistige Liebe zu Gott.
Wenn ich dies wirklich begreifen könnte, wäre ich wirklich der einzige Mensch, der die Wahre Philosophie gefunden hat, und wüßte alles über den sich verbergenden Gott. Doch wer hätte den Mut, durch die Welt zu ziehen und diese Philosophie zu verkünden? Dies ist das Geheimnis, das ich in mein Grab bei den Antipoden mitnehmen werde.
Ich sagte schon, Roberto hatte nicht die Wesensart des wahren Philosophen. Kaum war er zu dieser Epiphanie gelangt. die er sich mit derselben Hartnäckigkeit zurechtgeschliffen hatte, mit der ein Optiker seine Linsen schleift, erlitt er erneut - einen Liebesrückfall. Da Steine nicht lieben, setzte er sich auf, um wieder ein liebender Mensch zu werden.
Aber dann, sagte er sich, wenn es das große Meer der großen und einzigen Substanz ist, in das wir alle zurückkehren müssen, dort unten oder dort oben oder wo immer das sein mag, dann werde ich mich dort vollkommen mit der Signora vereinigen! Wir werden beide Teil und das Ganze desselben Makrokosmos sein. Ich werde sie sein, und sie wird ich sein. Ist dies nicht der tiefe Sinn des Mythos vom Hermaphroditen? Lilia und ich, ein Körper und ein Gedanke ...
Und habe ich dieses Geschehen nicht schon vorweggenommen? Seit Tagen (seit Wochen, Monaten?) lasse ich sie in einer Welt leben, die ganz und gar meine ist, wenn auch durch Ferrante. Sie ist bereits Denken von meinem Denken.
Vielleicht ist es dies, das Romaneschreiben: daß man durch die eigenen Figuren lebt, daß man dafür sorgt, daß sie in unserer Welt leben, und daß man sich selbst und die eigenen Geschöpfe dem Denken der Nachgeborenen übergibt, die kommen werden, wenn wir nicht mehr ich sagen können.
Doch wenn dem so ist, hängt es nur von mir ab, Ferrante ein für allemal aus meiner Welt zu entfernen, sein Verschwinden als einen Ausdruck der göttlichen Gerechtigkeit hinzustellen und die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß ich mich mit Lilia vereinigen kann.
Von neuem Enthusiasmus erfüllt, beschloß Roberto, sich das letzte Kapitel seiner Geschichte auszudenken.
Er wußte nicht, daß Romane, besonders wenn ihre Autoren inzwischen zu sterben beschlossen haben, sich oft von selbst weiterschreiben und eigene Wege gehen.
Über Natur und Ort der Hölle
Roberto erzählte sich, daß Ferrante, von Insel zu Insel schweifend und mehr sein Vergnügen als den richtigen Kurs suchend, dabei aber unfähig, Warnungen aus den Signalen zu entnehmen, die der Eunuch aus London in Biscarats Wunde sandte, schließlich keine Ahnung mehr hatte, wo er sich befand.
Das Schiff fuhr unterdessen weiter, die wenigen Lebensmittel verdarben, und in den Fässern faulte das Wasser. Damit es die Mannschaft nicht sah, zwang Ferrante jeden, nur einmal pro Tag in den Kielraum zu gehen und sich im Dunkeln das wenige zu nehmen, was er zum Überleben brauchte und was anzusehen niemand ertragen hätte.
Nur Lilia bemerkte nichts, ertrug unverdrossen alle Plagen und schien von einem Tropfen Wasser und einem Nichts an Zwieback zu leben, immer nur bangend, daß dem Geliebten sein Unternehmen gelinge.
Ferrante selbst, unempfänglich für diese Liebe bis auf die Lust, die er aus ihr zog, fuhr fort, seine Matrosen anzutreiben, indem er vor den Augen ihrer Habgier Bilder unermeßlichen Reichtums aufschimmern ließ. So führte ein vom Haß verblendeter Blinder andere Blinde, die von der Habgier verblendet waren, während er eine blinde Schönheit in seinen falschen Liebesbanden gefangenhielt.
Vielen von der Mannschaft war unterdessen von dem großen Durst schon das Zahnfleisch geschwollen und begann, über die Zähne zu wuchern; ihre Beine bedeckten sich mit Schwären, deren
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