Die Insel Des Vorigen Tages
Durst stillen konnten, würde Roberto ziemlich lange auf dem Schiff bleiben können.
Dennoch steigerten diese Entdeckungen, die ihn lehrten, daß er auf dem Schiff Jedenfalls nicht Hungers sterben würde, seine Unruhe nur noch mehr - wie es melancholischen Gemütern ja häufig ergeht, für die jedes Anzeichen von Glück nur Vorzeichen schlimmster Folgen ist.
Als Schiffbrüchiger auf einem verlassenen Schiff zu landen ist schon recht unnatürlich, aber wenn das Schiff dann wenigstens richtig verlassen wäre, verlassen von Gott und den Menschen als ein unbrauchbares Wrack ohne alle natürlichen oder künstlichen Gegenstände, die es zu einer annehmbaren Behausung machen, dann wäre das noch in der Ordnung der Dinge und der Seefahrerchroniken; jedoch es so vorzufinden, so hergerichtet wie zum Empfang eines willkommenen und erwarteten Gastes, fast wie ein verlockendes Angebot das schmeckte allmählich nach Schwefel, sehr viel mehr als das Wasser.
Roberto fielen gewisse Märchen ein, die ihm seine Großmutter erzählt hatte, und andere in eleganterer Prosa, die er in den Pariser Salons hatte vorlesen hören, Märchen, in denen Prinzessinnen, die sich im Wald verirrt haben, in ein Schloß kommen und reich möblierte Zimmer mit Himmelbetten und Schränken voll prächtiger Kleider vorfinden, oder sogar Speisesäle mit gedeckten Tischen ... Und man weiß ja, im letzten Saal erwartet sie dann die schweflige Offenbarung des bösen Geistes, der seine Fallstricke ausgelegt hat.
Versehentlich stieß er an eine Kokosnuß im Unterbau der Pyramide, das Gebäude geriet aus dem Gleichgewicht, und die borstigen Früchte stürzten ihm lawinenartig entgegen wie Ratten, die still am Boden gelauert hatten (oder wie Fledermäuse, die sich kopfunter an die Balken einer Decke hängen), bereit, an ihm emporzuspringen und sein schweißüberströmtes Gesicht zu beschnuppern.
Er mußte sich vergewissern, daß keine Zauberei im Spiel war: Auf der Reise hatte er gelernt, was man mit den überseeischen Früchten macht. Das Messer wie ein Beil benutzend, öffnete er mit einem Hieb eine Nuß, trank den frischen Saft, zerbrach die Schale und nagte das Manna ab, das sich an der Innenseite verbarg. Es schmeckte so wunderbar süß, daß sich der Eindruck eines Hinterhalts noch verstärkte. Vielleicht, sagte er sich, war er schon der Illusion erlegen und schon in die Falle gegangen: Er labte sich an den Kokosnüssen und biß mit Nagezähnen hinein, schon war er dabei, die Eigenschaften der Nager zu übernehmen, bald würden seine Hände dünn und krumm und krallenbewehrt geworden sein, sein Leib würde sich mit einem grauen Flaum Aberziehen, sein Rücken würde sich buckeln, und er würde aufgenommen in die sinistre Apotheose der haarigen Bewohner dieses Acheronkahns.
Aber - und um mit dieser ersten Nacht zu enden - noch eine andere Schreckensmeldung sollte den Erforscher des Schiffs überraschen. Als hätte der Zusammenbruch der Nußpyramide schlafende Kreaturen geweckt, vernahm er plötzlich hinter der Trennwand, die den Vorratsraum vom Rest des Unterdecks abteilte, wenn nicht ein Quieken, so doch ein Piepsen und Glucksen und Füßescharren.
Mithin gab es wirklich einen Hinterhalt, nächtliche Wesen beratschlagten sich irgendwo im verborgenen.
Roberto überlegte, ob er sich, die Büchse im Anschlag, sofort in jenes Armageddon stürzen sollte. Das Herz schlug ihm bis zum Halse, er bezichtigte sich der Feigheit und sagte sich, ob in dieser Nacht oder in einer anderen, früher oder später würde er sich IHNEN stellen müssen. Er suchte nach Ausreden, überlegte hin und her und stieg wieder an Deck, und zum Glück sah er das erste Licht der Morgendämmerung schon wächsern auf dem Metall der Kanonen liegen, die bisher von den Reflexen des Mondlichts umspielt worden waren. Der Tag brach an, sagte er sich erleichtert, dessen Licht zu fliehen er sich geradezu verpflichtet fühlte.
Gleich einem aus dem Grab Auferstandenen aus Ungarn eilte er über das Deck, um ins Achterkastell zurückzugelangen, stürzte in die Kapitänskajüte, die er nun als die seine betrachtete, verriegelte die Tür, schloß die Ausgänge auf die Galerie, legte die Waffen in Reichweite und rüstete sich zum Schlaf, um nicht die Sonne zu sehen, jene Henkerin, die mit der Axt ihrer Strahlen die Schatten köpft.
Erregt träumte er seinen Schiffbruch, und er träumte ihn als ein Mann von Geist, der auch in den Träumen und dort vor allem dafür zu sorgen hat, daß die Satzperioden das
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