Die Insel Des Vorigen Tages
mußte, um die Machenschaften im Kielraum verfolgen zu können. Mehrere Monate lang im Dunkeln oder im Licht einer Kerze - und dann die Zeit auf dem Brett, geblendet von der fast äquatorialen Tropensonne. Als er auf der Daphne landet, muß er, ob krank oder nicht, das Licht gehaßt haben, er verbringt die erste Nacht in der Kombüse, erholt sich ein bißchen und nimmt in der zweiten Nacht eine erste Inspektion der Örtlichkeit vor, danach geht alles Weitere fast wie von selbst. Das Tageslicht macht ihm angst, nicht nur seine Augen ertragen es nicht, auch die Verbrennungen, die er auf dem Rücken gehabt haben muß, machen es ihm unerträglich, und so verkriecht er sich im Dunkeln. Der schöne Mond, den er in jenen Nächten beschreibt, gibt ihm wieder Mut, tagsüber ist der Himmel wie überall, nachts entdeckt er an ihm neue Sternbilder (heroische Devisen und rätselhafte Embleme), und es ist wie im Theater: Roberto gelangt zu der Überzeugung, daß dies für lange Zeit sein Leben sein wird, vielleicht bis zum Tod, er schafft sich schreibend seine Signora neu, um sie nicht zu verlieren, und er weiß, daß er nicht viel mehr verloren hat, als was er schon hatte.
So flüchtet er sich in seine Nachtwachen wie in einen Mutterschoß und beschließt, nun erst recht die Sonne zu meiden. Vielleicht hatte er von jenen Auferstandenen aus Ungarn, Livland oder der Walachei gelesen, die von Sonnenuntergang bis zur Morgendämmerung ruhelos umgehen, um sich beim ersten Hahnenschrei wieder in ihre Gräber zu legen - eine Rolle, die ihn reizen könnte ...
Roberto muß seine Inspektion des Schiffes in der zweiten Nacht begonnen haben. Er hatte nun lange genug gerufen, um sicher zu sein, daß sich außer ihm niemand an Bord befand. Aber er hätte, und das fürchtete er, Tote finden können, irgendwelche Zeichen, die das Fehlen von Lebenden zu erklären vermochten. So bewegte er sich mit Vorsicht voran, und aus den Briefen geht nicht recht hervor, in welche Richtung, denn er benennt das Schiff, seine Teile und die Gegenstände an Bord nur ungenau.
Einige sind ihm vertraut, denn er hat ihre Namen von den Matrosen der Amarilli gehört, andere sind ihm unbekannt, und er beschreibt sie so, wie sie ihm erscheinen. Aber auch die bekannten Dinge muß er vom einen französisch, vom anderen holländisch, vom dritten englisch benannt gehört haben - was dafür spricht, daß die Besatzung der Amarilli aus Abenteurern der sieben Meere zusammengewürfelt war. So nennt er den Höhenmesser gelegentlich starre , wie er es wohl von Doktor Byrd gehört hatte; man versteht nur mit Mühe, wie er sich einmal auf dem Achterkastell oder dem hinteren Aufbau befinden kann und ein andermal auf dem hinteren gagliardo , was von französisch galliard kommt und dasselbe heißt; die Geschützpforten nennt er sabordi von französisch sabords , was ich ihm gern erlauben will, denn es erinnert mich an die Seefahrergeschichten, die ich als Kind gelesen habe; er spricht von einem parrocchetto , was für uns ein Segel am Fockmast, also ein Vormarssegel wäre, aber da für die Franzosen perruche, das Besansegel ist, das sich hinten am Besanmast befindet, weiß man nicht genau, was er meint, wenn er schreibt, er sei »unter der parrucchetta « gewesen. Ganz zu schweigen, daß er den Besanmast zuweilen nach Art der Franzosen artimone nennt, womit sich die Frage erhebt, was er dann meinen mag, wenn er mizzana schreibt, was für die Franzosen der Fockmast ist (nicht aber für die Engländer, deren mizzenmast , genau wie unsere mezzana , eben der Besanmast ist). Und wenn er von einer gronda spricht, meint er sicherlich keine Dachtraufe, sondern wahrscheinlich das, was die Seeleute ein »Speigatt« nennen, das heißt ein Abflußloch in der Bordwand. Deshalb treffe ich hiermit eine Entscheidung: Ich werde herauszufinden versuchen, was er gemeint hat, und werde dann die uns geläufigsten Ausdrücke nehmen. Und wenn ich mich dabei einmal irre, ist es nicht schlimm: An der Geschichte ändert sich nichts.
Nach diesen Prämissen halten wir also fest, daß Roberto in jener zweiten Nacht, nachdem er einen Vorrat an Lebensmitteln in der Kombüse gefunden hatte, sich im Mondlicht an die Überquerung des Mitteldecks machte.
An den Bug und die nach oben gewölbten Seiten denkend, die er undeutlich in der vorigen Nacht gesehen hatte, das schlanke Deck, die Form des Achterkastells und das schmale Rundheck mit denen der Amarilli vergleichend, kam Roberto zu dem Schluß, daß auch die Daphne
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