Die Insel Des Vorigen Tages
eine holländische Fleute oder Fluite war, auch Fluyt , Flüte , Fliete , Flyboat oder Fliebote genannt, also eines jener Handelsschiffe mittlerer Größe, die für gewöhnlich mit etwa zehn Kanonen bestückt waren, zur Entlastung des Gewissens im Falle eines Piratenangriffs, und die mit einer zwölfköpfigen Besatzung auskamen, aber dazu noch viele Passagiere aufnehmen konnten, wenn man auf die (ohnehin kargen) Bequemlichkeiten verzichtete und die Schlafstätten so eng zusammenpferchte, daß es kein Durchkommen mehr gab - und dann großes Sterben durch Miasmen aller Art, wenn nicht genügend Eimer da waren ... Eine Fleute also, aber größer als die Amarilli und mit einem Deck, das auf ein einziges Gitterwerk reduziert schien, als wäre der Kapitän entschlossen gewesen, bei jeder etwas größeren Sturzwelle Wasser zu fassen.
Jedenfalls war es ein Vorteil, daß die Daphne eine Fleute war, denn so konnte Roberto sich mit einer gewissen Ortskenntnis auf ihr bewegen. Zum Beispiel wußte er nun, daß auf dem Oberdeck die große Schaluppe hätte stehen müssen, in der die ganze Mannschaft Platz fand, und die Tatsache, daß sie nicht da war, ließ darauf schließen, daß die Mannschaft anderswo war. Was Roberto jedoch nicht beruhigte, denn eine Mannschaft überläßt ihr Schiff niemals unbewacht der Gewalt des Meeres, auch wenn es mit eingerollten Segeln in einer ruhigen Bucht vor Anker liegt.
An jenem Abend war er gleich zum Achterkastell hinaufgestiegen und hatte die Tür mit einem gewissen Zögern geöffnet, als müsse er jemanden um Erlaubnis bitten ... Neben der Ruderpinne befand sich der Kompaß, auf dem er sah, daß die Meerenge zwischen den beiden Küsten genau in nordsüdlicher Richtung verlief Dahinter kam, was wir heute die Messe nennen würden, ein Raum in Form eines L, und eine weitere Tür führte in die Kapitänskajüte mit ihrem breiten Fenster über dem Ruder und den seitlichen Türen zur Galerie. Auf der Amarilli war der Kommandoraum nicht identisch mit dem Schlafraum des Kapitäns gewesen, hier aber schien es, als habe man Platz sparen wollen, um Raum für etwas anderes zu gewinnen. Und tatsächlich fand sich, während links der Messe zwei kleine Offizierskajüten lagen, rechts neben ihr ein weiterer Raum, der fast noch größer als der des Kapitäns war, mit einer kleinen Kochstelle in der Ecke, aber sonst als Arbeitsraum eingerichtet.
Der Tisch war überladen mit Karten, die Roberto zahlreicher vorkamen, als sie zur Navigation eines Schiffes gebraucht wurden. Es schien der Arbeitsplatz eines Wissenschaftlers zu sein: Außer den Karten gab es verschieden eingestellte Fernrohre, ein schönes Nocturlabium aus Kupfer, das rotgolden schimmerte, als wäre es eine Lichtquelle in sich, eine auf der Tischplatte befestigte Armillarsphäre, weitere Papiere voller Zahlenkolonnen und ein Pergament mit kreisförmigen Zeichnungen in Schwarz und Rot, das Roberto, weil er Kopien davon auf der Amarilli gesehen hatte (die aber schlechter gemacht waren), als eine Reproduktion der Mondfinsternis-Tafeln des Regiomontanus erkannte.
Dann war er in den Kommandoraum zurückgekehrt: Wenn man auf die Galerie hinaustrat, konnte man die Insel sehen, man konnte - schrieb Roberto - mit Luchsaugen ihre Stille fixieren. Mit anderen Worten, die Insel war nach wie vor da.
Er mußte fast nackt auf das Schiff gelangt sein; ich denke, er wird sich als erstes, verklebt vom Salzwasser, wie er war, in der Kombüse gewaschen haben, ohne sich zu fragen, ob das dort befindliche Wasser das einzige an Bord war, danach wird er in einer Truhe einen schönen Rock des Kapitäns gefunden haben, vielleicht den, der für den Tag der Rückkehr aufbewahrt worden war. Vielleicht hat er sich auch ein wenig aufgeplustert in seinem Kommandantenrock, und in Stiefel zu schlüpfen muß ihm das Gefühl gegeben haben, wieder ganz in seinem Element zu sein. Nur in diesem Zustand kann ein gutgekleideter Mann von Welt - und nicht ein ausgemergelter Schiffbrüchiger - offiziell von einem verlassenen Schiff Besitz ergreifen und das, was Roberto nun tat, nicht als einen Übergriff, sondern als ein Recht betrachten: Er suchte auf dem Tisch und fand, aufgeschlagen und wie unverrichteter Dinge liegengelassen, neben Gänsekiel und Tintenfaß, das Logbuch. Auf der ersten Seite las er sofort den Namen des Schiffes, aber das weitere war eine unverständliche Folge von Wörtern wie anker , passer , sterre-kyker , roer , und es half ihm wenig, zu wissen, daß der Kapitän
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