Die Insel, die Kolumbus nicht gefunden hat: Sieben Gesichter Japans
gerahmte Wandbilder: weitere Accessoires des fernwestlichen Exotismus.
Ein shunga, ein sogenanntes Frühlingsbild, zeigte eine zugeteilte Dame mit angezogenem Bein in direktem Verkehr mit einem furchterregenden bartstrotzenden Seebären im Dreispitz. Die Schriftlegende weist sein barbarisches Liebesgestammel nur onomatopoetisch aus, während der Klartext der Frau nicht mißzuverstehen ist: »Er ist so lang und dick. Ich hoffe, es wird nicht eng.« Auffällig geringe Sorgen, die sich das japanische System in diesem Falle um seine Intaktheit macht. Der Ausstellungskatalog vermerkt dazu: »Die japanische Prostitutierten (empfanden) die Liebesdienste an den ungeschlachten Fremden als eine Fron, zu der sie nur durch die Behörden gezwungen werden konnten.« Madame Butterfly ist noch wohltuend weit entfernt. Aber ich denke doch, daß die doppelte Moral der christlichen Seefahrer durch die unverblümt praktische, auf Ruhigstellung auch mit diesen Mitteln bedachte ihrer Überwacher, auf einige Proben gestellt worden ist.
In einer andern Beziehung vermute ich den Befremdungsschock auf japanischer Seite. Auf dem Stellschirm mit dem verfremdeten Ehepaar Blomhoff sind Mann wie Frau mit regenschirmbewehrten Domestiken im Hintergrund abgebildet – Javanern vermutlich, jedenfalls Asiaten. Diese Entourage gehörte fest zum Erscheinungsbild der Holländer. Mit welchen Gefühlen hat sie der japanische Betrachter vermerkt? Ist es eine anachronistische Perspektive, wenn mir das koloniale Setting als potentieller Angriff auf das japanische Selbstgefühl erscheinen will, nach dem Motto: Diese Stellung wäre uns von den nanbanjin zugedacht, wenn wir uns nicht vorsehen? Oder haben japanische Augen andere Nicht-Weiße, sobald sie in dienender Funktion auftraten, a priori nicht als ihresgleichen betrachtet?
Im Hafen von Nagasaki war ja nicht nur den holländischen, sondern auch den chinesischen Händlern ein Reservat zugeteilt. Ich wüßte gern, worin und wie sich die Behandlung der beiden Quarantänen unterschieden hat. Und da gab es noch ein Bild, das mir zu denken gab. Es zeigt eine japanische Prozession zu einem Tempel am Rande von Nagasaki – und zeigt zugleich die geleerten Straßen mit Holländern und Chinesen bevölkert, die denn also etwas wie Freigang von ihrem Ghetto genießen. Wie oft, wie erlaubt und bei welchen Gelegenheiten? Da das Bild im geschlossenen Land gezeigt werden konnte, muß ja wohl, was es zeigt, nicht ganz unvorstellbar gewesen sein. Jeder Japanreisende erlebt bis heute die Elastizität japanischer Regelsysteme. Von einem glaubwürdigen Willen ist es nicht nur imstande, sich beugen zu lassen, sondern auch noch, sich davor zu verbeugen. Lernfähigkeit hinter vorgehaltener Hand: wer sein Gesicht versteckt, braucht es nicht verloren zu haben. In Japan laufen – auf dem Vehikel der Doppeldeutigkeit – Revolutionen gewissermaßen bei gewahrten Fassaden der Unveränderlichkeit ab. Oder umgekehrt: die Konstanten der Identität vermögen sich nicht trotz, sondern kraft des Wechsels zu behaupten. Eine vorzügliche – und von keiner andern Kultur kopierbare – Zauberformel für das Ausbalancieren von Modernisierung. Der Fuzzy logic ist ein regeneratives Muster eingeschrieben, das aus jedem Paradigma-Wechsel wieder hervortritt wie das Wasserzeichen auf dem Papier; und aus dem augenscheinlichen Chaos widerspruchsvollster Dispositionen stellt sich immer wieder eine neue fraktale Ordnung her: wie die Mandelbrotsche Figur.
Dejima, der Ort, der Topos, die Topographie: ich möchte sie lesen können wie ein Ideogramm. Eine fächerförmige Protuberanz, lächerliche 15 000 qm groß, abgebunden wie eine bösartige Geschwulst, über den empfindlichsten Nerv wieder mit dem Corpus Japans verbunden, eine festgezurrte Plattform, welche die Küste nicht berühren darf und sich ihrer Rundung doch fast zärtlich anschmiegt: wahrlich eine symbolische Lage, die zur Vermutung reizt, auch im Innern könne nicht viel dem Zufall überlassen gewesen sein. Die Besiedlung ist einseitig, beschlägt nur die starke rechte Hälfte der Insel mit der Reede. Linkerhand bleibt Raum für einen Garten, ein Tiergehege, eine Zeile Kiefern, und im äußersten untern Winkel steht das Gartenhaus fürs Unregelmäßige: Absteige der Kurtisanen, »Spielhaus«, Arztpraxis, Krankenstation. Die Reede auf der Gegenseite ist noch einmal durch ein inneres Schrankenwerk gesichert, in der Filteranlage das Nadelöhr; hier muß alle Ware durch, um von
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