Die Insel, die Kolumbus nicht gefunden hat: Sieben Gesichter Japans
wohlbehalten, und auf den letzten Seiten durfte Hansi wieder in die Arme seiner Mutter sinken. Sie hatte sich große Sorgen um ihn gemacht.
Es war nicht meine Mutter; und doch war es mein Elternhaus. Denn die Autorin war meine längst erwachsene Halbschwester, die als junge Hauslehrerin in den zwanziger Jahren nach Japan gereist war und das große Abenteuer später in diesen Hansiund-Ume-Bücher schilderte. Die Briefe, die ihr unser Vater damals ins ferne Land schrieb – ich habe sie geerbt, ihre eigenen sind verlorengegangen –, zeichnen ein weniger helles Bild. Das Verhältnis zu ihren neureichen Brotgebern und den verwöhnten Kindern war nicht glücklich –, und voller Konflikte blieb auch das Leben »zu Hause«.
Hansi und Ume ist ein Märchenbuch. Die schön gefärbte und auch kolonialistisch verzeichnete Fremde war ein geheimnisvolles Niemandsland – eine Welt des Trostes für fehlende Geborgenheit in der Familie. Davon habe auch ich in meiner Kindheit nicht allzuviel gehabt. Gerade darum muß sich »Japan« in meiner Phantasie mit »Heimkehren« verbunden haben.
Der kleine Leser fand in der niedlichen Welt aus Papierwänden, Lackschalen und Puppen ein Mutterland, das sein Heimweh stillen mußte – ein Gefühl, das Kinder, die zu Hause daheim sind, nicht kennenlernen.
Ich aber wünschte mir, eines Tages, wie Hansi und Ume nach Japan »unterwegs« zu sein. Für mich war es das gelobte Land, in dem ich zu mir selber kommen würde. Die Reise nach Japan sollte mich in die andere Hälfte der Erde führen, eine Fremde, die mir nicht fremd bleiben durfte. Dort mußte der Schatz versteckt sein, der mir zum Reichtum eines ganzen Lebens verhalf. Was mir zu Hause fehlte, suchte ich in »Japan«.
Ist es ein Wunder, daß ich mich später, zu Hesses
Morgenlandfahrern zählte? Daß ich mir meine Jugendlieben danach aussuchte, ob sie als Mitreisende in Betracht kamen? Meine längste Liebe war Textilgestalterin und ließ nur Objekte und Verhältnisse gelten, welche die Gute Form kannten – an ihr aber hing immer eine Erinnerung Japans. Wir suchten seine Spuren in der europäischen Kunst und Architektur, die wir liebten, in den Bildern von Degas oder Toulouse-Lautrec, weil ihre Linien von denen des japanischen Farbholzschnitts inspiriert waren.
Wir fanden unser Japan m den gedehnten Pflanzen des Jugendstils und in der methodischen Schlichtheit des Bauhauses. Gegen Gelsenkirchener Barock und Zopfstil spielten wir die Durchsichtigkeit der funktionellen Form aus, die Delikatesse einfacher Verhältnisse – vielleicht, weil unser Liebesverhältnis nie so recht einfach werden wollte.
So wurde »Japan« zum zweiten Mal mein Heimweh-Land.
Wir blieben kein Paar. Meine erste Ehe führte mich nach
Japan, an dem sie zerbrach; unser Sohn aber wurde in Tokyo geboren, ist als Mann dorthin zurückgekehrt und hat jetzt selbst ein Kind mit seiner japanischen Frau. Als ich, damals in seinem Alter, allein nach Europa zurückkam, mußte die Frau, mit der ich leben wollte, Hansi heißen. Ume war damals noch weit entfernt.
Meine Jugendliebe aber heiratete einen Mann, der die fernöstliche Architektur zu seinem Beruf gemacht hatte. Ich hätte ihn nicht kennengelernt, wäre er nicht in der Kindheitserzählung einer japanischen Freundin aufgetaucht. Ihre Großmutter hatte ihn, als er selbst noch ein junger Morgenlandfahrer gewesen war, in ihrem Haus beherbergt. Dieses Haus aber lag nicht weit von der Villa in Kyoto entfernt, in der meine Halbschwester dreißig Jahre zuvor ihre beiden schwierigen Schützlinge unterrichtet hatte. Ich bin sicher, Umes Mutter-Haus hinter dem Kurodani-Tempel ausgemacht zu haben, wiederum nur ein paar Schritte von meiner Gastwohnung hinter dem Okazaki-Park entfernt. In diesem alten Garten-Haus zwischen Zoo, Love Hotels und Mizoguchis Grab wurde der Film Deshima nach meinem Szenario gedreht – beinahe schließt sich der Kreis, den Hansi und Ume meinem kindlichen Wunsch nach Geborgenheit gezogen haben.
Aber nun bleibt er offen. Denn das kleine Mädchen, das den späteren Mann meiner Jugendliebe durch den großmütterlichen Garten begleiten durfte, ist heute meine dritte Frau. Ume heißt sie nicht. Dafür trägt sie den Namen, den ich für die Heldin einer frühen Erzählung – einer wahren japanischen Heiratsgeschichte – gewählt hatte; es war nicht der richtige Name des Vorbilds. Mir aber scheint die Aufgabe gestellt, für verschobene Namen passende Plätze zu
Weitere Kostenlose Bücher